Von der Landschaft
sehen wir (an
TAG 5) wieder nichts. Erstens Fensterstores,
zweitens Sonnenblenden (obwohl keine Sonne weit und breit), drittens
beschlagene Fenster (ob wir so ausdünsten?
Schaschlikschweiß?),
viertens draußen graue Nebelsuppe. Also stecken wir unsere Nasen in
Bücher. Ich lese den Reiseführer und decke Murats Schwächen auf.
Unser Abteil verfügt über zwei Bildschirme (gottlob aus!) und zwei
Mitreisende, die sich erfreulich ruhig verhalten und meist ohnehin im
Gang stehen. Vielleicht riecht doch der Krautsalat von gestern in
unseren Rucksäcken etwas streng.
Der Bahnhof ist schön aber tot. Im letzten Eck eine Bar. Café möchte ich es nicht nennen. Denn es gibt
keinen Tee – dass uns das in Mittelasien einmal unterkommen würde,
hätten wir nicht gedacht – und den Löslichkaffee veredelt der
Bartender mit massig Zucker. Selten so geekelt. Aber die Sucht
macht's möglich auch diese Plörre zu trinken. Wir verstehen keine
Durchsage, wir können keine Anzeigetafel lesen, wir sind Idioten,
aber wir haben unsere Tickets und Pässe ja schon mehrmals
vorgewiesen und gestempelt gekriegt und ohne uns fährt der Zug
sicher nicht ab (was auch für den Flieger am nächsten Morgen gelten
sollte). Wir fahren 1. Klasse, der normale Zug ist eineinhalb Stunden
länger unterwegs und kostet nicht viel weniger (50.000 hin –
40.000 zurück) als der flotte „Afrosiyob“ (was übrigens einfach
der alte Name für Samarkand ist).
Zurück in Tashkent
geben wir uns abgebrüht, begegnen der Taxifahrermeute abgeklärt und
verhandeln erfolgreich. 5000 statt gewünschte 5 Dollar. Im Hotel
wissen sie diesmal zwar von uns, kopieren aber wieder fleißig und
umständlich unsere Pässe und der Anruf, der dann kommt, hat hohen
Unterhaltungswert.
Weibliche
Telefonstimme: „(…) Where did you stay the days before
yesterday?“
Ich: „In this
house.“
Weibliche
Telefonstimme: „Where is this?“
Ich: „?!? - in
this hose?! Hotel Shodlik Palace!“
(…)
Aber hier leben –
nein, danke!, singen Tocotronic und sie haben damit sicher nicht
Tashkent gemeint, aber kommen mir wohl deshalb in den Sinn, weil
„Kapitulation“ im Goethe Institut zum Ausleihen aufliegt. Wir
marschieren pünktlich um zehn Minuten vor Lesungsbeginn ins GI ein.
Die Gastgeberinnen warten bereits seit einer Stunde mit Kaffee und
Keksen, über die wir uns dann auch gleich hermachen (also die Kekse
und den Kaffee, nicht die Gastgeberinnen). Gerne hätten uns die
Gastgeberinnen zum Essen geladen, aber danach mussten sie zu ihren
Kindern, davor waren wir noch nicht und am Tag drauf sind wir nicht
mehr da. Gehen wir halt selbst essen, zum Araber. Sehr okayer
Vorspeisenverzehr. Unterlage für ein Vodkagelage ist das natürlich
keine. Doch Vodka will sein! Viel! Viel und mehr. Auweia!
Im Green House,
unweit vom Georgier, sind wir zwar die einzigen Gäste, aber das
stört uns nur wenige Vodka lang. Es wird hitzig debattiert, von der
Hausmatrone Puschkin rezitiert und russisch karaokt, dass die
Schwarte kracht.
Ad Hausmatrone: Lederstiefel bis zum Knie, schwarz
Leggin, schwarzes Oberteil und drüber ein weißes, grobmaschiges
Häkelkleid. 60 Jahre, Kampfbrüste, durchaus etwas Transiges,
Verruchtheit zum Quadrat, ein kehliges „
Icchliebe dicch“, stets
parat, routinierte Moves, die die Textzeilen unterstreichen, die
Brüste beben und die Zuschauenden erschauern lassen. Ein lasziv
roter, zum Lippenstift passender Funkmikroploppschutz, gewolltes
Übersteuern, verstörende Tanzeinlagen, trashig, peinlich,
unglaublich. Nüchtern nicht denkbar – betrunken
das i-Tüpfelchen
von kultig.
Dass die dralle
Lolkalheroine während ihrer Performance
mit ihrer Linken zärtlich ihre Lesebrille umschließt, die sie sich
nach ihrem Auftritt wieder inst Gesicht hängt, um nicht auf den
Türstock zu donnern, hat etwas das Gesamtbild für immer einzigartig
Abrundendes und
lässt mich ergriffen glucksen.
Um unser Wohlbefinden
sind insgesamt drei Damen bemüht. Die blonde Koreanerin, die am Ende
des Abends geheiratet werden wollte, schenkt Vodka ein. Die junge
Usbekin bringt Bier und frische Aschenbecher und die alte Chefin ist
schlicht eine Nummer für sich. Ein Mann kommt erst ins Spiel, als es
ums Zahlen (und Heiraten der Vodkakoreanerin) geht, was wir nicht
ganz können (beides). Gut, dass man den Vortrinker und DAD-Lektor
Matthias bereits kennt, so bleiben uns blutige Nasen und trockene
Kehlen trotz leerer Taschen erspart. Denn der Mann ist zwar klein und
spärlich beflaumt aber ein Messer kann er sicher halten, lenken und
versenken. Man kennt das ja aus Filmen, die nicht immer schlecht sein
müssen. Danach Bewusstlosigkeit bis 7 Uhr 45.