Montag, 28. Juni 2010

Gruppenreisen

Zug mal wieder.
2. Klasse railjet inmitten einer Schweizer Reisegruppe. Staniolpapier raschelt, Jausenboxen schmatzen auf, Käsewinde und Wurstschwaden erobern den Großraumwaggon. Grad gefrühstückt und schon wieder fressen! Und Unterhaltungen über mehrere Sitzreihen hinweg. Salamifettfetzchen schießen durch die Luft und die Reiseleiterin nimmt die Bestellungen fürs Mittagessen auf.
Gruppenreisen: Fressen und scheißen und am Fenster Landschaft vorbei ziehen lassen. „Lauter Knöpfeli am Klo. Alles automatisch und tip-top modern.“
„Faschiert? Was soll denn des sein? Hon i no nie kehrt. Nemmer besser Tügware.“
Aber so ein Faschiertes, bin ich geneigt einzugreifen, so ein Fasciertes schisse sich leichter. Das wurde nämlich durch den Fleischwolf gejagt, klein gemacht und hinterher notdürftig wieder zusammen gepappt und der Kartoffelstampf geht auch runter und raus wie nix. Aber ich bleibe ruhig. Die sind ja nur gut gelaunt, bereits wach und übertrieben fröhlich, weil auf Gruppenreise; und ich halt morgenmuffelig, noch koffeinunterversorgt und angefressen, weil ich bei dem Lärm und Gestank kein Auge mehr zu tun kann und die Ohren, ja, die haben ja bekanntlich keine Lider. Endlich Buchs! Flucht nach vorn (in die 1. Klasse;-)

Donnerstag, 24. Juni 2010

Sanssouci


Unlängst sind ja Andreas Maiers „Neulich“ Kolumnen erschienen. Sein letzter Roman allerdings ist aus dem Vorjahr und heißt so, wie dieser Park in Potsdam. Sanssouci ist spannend, schlau und ungehörig ironisch. Da bleibt alles unausgesprochen und in der Schwebe. Da darf man sich alles selbst ausmalen. Die Farben werden allerdings bereitgestellt.
Die Erzählperspektive macht's aus. Die ist zwar auktorial aber doch immer einer Figur sehr nahe. Da wird dann sachlich große Jugendnaivität beschrieben oder blumig die Öko-, Vegetarier- und Demo-Szene. Das ist eine geglückte Gratwanderung. Nie verächtlich machend, immer im Dienst der Erzählung aber schon mit Unterton, der kontinuierlich anschwellt. Bis Majas Perspektive auf die Dinge endet. Das Personal geheimnisvoll, seltsam und interessant. Da haben wir also:
Nils: das Genie der Klasse. Faul, subversiv aber aktiv für das Gute
Maja: seine Freundin, die hübsche Kürbisfrau
Heike und Arnold: die zentralen Zwillinge; Geister, Boten, Mysterien
Merle: die Vegetarierin und Domina
Jesus: ihr Sohn
Alexey: der russisch-orthodoxe Mönch mit Detektivfunktion
Grigoris: der wahnsinnige Bulgare mit Hausaltar
Hofmann: Wodkatrinker, Russe, Gärtner, Mitwisser, Vater von
Anastasia: strebsame 2. Generations-Russin, kommt etwas vom Weg ab
Das haben wir da noch den Nachlassverwalter und Kümmerlingtrinker Dr. Mai, einen Punk mit Ziegenmeckerlachen namens Pöhland, den seltsamen Baron und noch ein paar Gestalten.

Und Hornung der Regisseur der Fernsehserie Oststadt kam bei einem Unfall im Park um. Wie? Nicht klar. Ominös. Der Park insgesamt: oben schön, unten rätselhaft und voller geheimer Kammern. Woher haben auch alle das Geld, um so unbeschwert leben zu können. Dass da gewisse Dienste ausgeführt werden, ist anzunehmen. Mitwissende schütteln den Kopf, mehr nicht. Das zwiespältige Verhältnis der Potsdamer zu Oststadt sorgt für zusätzliche Spannung. Der Kleinstadtkosmos überhaupt wird sehr erhellend dargestellt. Vom Buchhändler über den Oberbürgermeister bis zum Aussteiger (der alles weiß).
Und überdies ist dieser Roman formal, obwohl linear dahin erzählt, auch ziemlich eigen. Vor allem, was die Reden betrifft. Es wird viel geredet und das unkonventionell markiert bzw. bunt gemischt. Direkt, indirekt, direkt ausformuliert aber meist bloß Name/Er/Sie Doppelpunkt. Ach ja, jetzt soll wohl ein Resümee folgen, also nochmal Doppelpunkt: In Summe wieder ein toller Maier-Roman. Der Mann kann das.

Mittwoch, 16. Juni 2010

Aufklärungsarbeit


Zum Wohl! sagen sie hier auch, wenn man einen Kaffee nimmt. Das find ich lustig. Und der Initiator ist hier ein Initiant ohne, dass man dabei schlecht über ihn denkt. Gut gibt’s unterschiedliche Varianten, sagte man hier, denn das dass sparen die Schweizerinnen und Schweizer ein. Will man sich für Freundlichkeit erkenntlich zeigen, indem man Trinkgeld gibt, sagt man übrigens nicht: Passt schon!
Sondern: Isch guat!
Mehr als gut ist das Wort des Tages. In der Zeitung steht: Verfötzelter Boden und gemeint ist schlicht ein entstellter. Schön. Wort des Tages: verfötzelt
Ad Bild: Verfötzelte Bäume?
Apropos Wörter: Vor einiger Zeit fragte ich, ob wer wisse, wie das Fähreding, das ich fotografisch abbildete heiße. Nicht dass ich nicht glaubte, es wisse nicht wer. Es ist mir bloß klar, dass sich niemand gemeldet hat, deshalb lüfte ich das Geheimnis. Es handelte sich um den Schwengel. Also wichtig bei den Basler-Rhein-Fähren ist der Schwengel und das Heckruder (die Fähren selbst sind übrigens vom Bootstyp Weidling)

Und zum Abschluss auch noch ein Zitat des Tages: „Wir brauchen eine neue Sprache, die sich nicht einfach von uns überreden lassen wird.“ (Gert Jonke)


Dienstag, 15. Juni 2010

NOX


Auch Thomas Hettche hat einen Wenderoman geschrieben. Nox ist 1995 bei Suhrkamp und 2002 in leicht abgeänderter Version bei DuMont erschienen (als Taschenbuch dann 2004 bei List).
Der Held und Ich-Erzähler in Nox ist Schriftsteller und es wird ihm auf der ersten Seite die Kehle durchgeschnitten. Die Frau die das tat, bat ihn am Vorabend des Mauerfalls, nach einer Lesung, ihr weh zu tun. Was er nicht fertig brachte
„Und für einen Moment sah ich sie so, wie niemand sie kannte, ihr geheimes Gesicht und die Lust darin (…) Jetzt erzähl mir, du habest mich so geseheh. Wenn du noch erzählen kannst.“ (S. 20)

Er kann. Er nimmt auch alles andere an diesem Tag und der folgenden Nacht in allen Details wahr. Es geht um einschneidende Erlebnisse und Ereignisse, historisch und persönlich. Schmerz und Lust schaukeln sich gegenseitig hoch. Während Günter Schabowski ausplaudert, dass sämtliche DDR-BRD Grenzübergangsstellen unverzüglich frei seien, verwest das Opfer vor sich hin und die namenlose Mörderin feiert und fickt sich durch Berlin.

Verfolgt wird sie von einem noch vor der Grenzöffnung in den Westen geflüchteten Hund (ja, Hund). Gefickt wird sie unter anderem vom Lustsklaven David und das große Showdown findet dann im Anatomischen Theater im Osten statt. Wer da aller dabei ist und was da ab geht, sei an an dieser Stelle nicht verraten. Im Schlusskapitel jedenfalls relativiert der Hund im Gespräch mit dem Autor die Geschichte. Mir ist der Text motivisch etwas zu überfrachtet aber sprachlich spannend und inhaltlich fesselnd ist Nox schon. Ein anderer Wenderoman ist es auch. Gut anders.

Ach ja: Die Mauer war im Übrigen auch so ein Einschnitt, eine Narbe, die in jener Nacht eben aufbrach. „Nichts heilt, dachte sie. Nicht wirklich. Der Schmerz bleibt, und keine Wunde schließt sich. Und dann?“ (S. 101)