Donnerstag, 18. Mai 2023

Von Dreimastern und Dreiecken


Zum Abschluss noch ein Abenteuer, hab ich mir gedacht. Zum Abschluss musst du noch rauf auf den Berg, hab ich mir gesagt. Zum Abschluss musst du das Geheimnis lüften, was denn das da oben ist, das so markant dem Hügel aufgesetzt wurde und von wo aus der Blick auf Triest und darüber hinaus Wahnsinn sein muss. Rauf auf den Monte Grisa also. Da steht seit 1966 eine Wallfahrtskirche, die architektonisch außergewöhnlich ist, weil ganz der Dreiecksform verschrieben und ganz in Sichtbeton gehalten. Der Volksmund nennt das Bauwerk "Formaggino" - Käseeckerl also. 

Ich pack mir ein Käseweckerl ein, muss ja die Vorräte abbauen, den Kühlschrank leeren, am Samstag wieder heimkoffern. Aber vorher noch rauf, und das aus der Nähe betrachten und vielleicht auch noch das zweite Geheimnis lüften. Was es mit diesem Luxus-Dreimaster auf sich hat, der heute vor Miramar ankert und die letzten Tage immer irgendwo in der Bucht von Triest auf sich aufmerksam machte, ohne sich groß zu bewegen und dabei mehr nach Kunst als nach einer wirklichen Jacht auszuschauen. Aber eins nach dem anderen. Ich nehme den Bus 42 um raus aus der Stadt auf die Via Friuli zu kommen. Die ist sehr lang, ich steig irgendwann mal aus, schaue nach oben - da steht das Ziel, schaue mich nach einem Weg um - da ist nicht wirklich einer. Also einfach mal querfeldein aufwärts. 

Nach Überwinden einiger Hindernisse, ist mit viel Phantasie eine Art Weg auszumachen. Wenn da in den letzten Monaten wer ging, dann waren es eher kletterbegabte Tiere als Menschen. Aber ich bin motiviert und ich bin auch stur. Eine nicht immer günstige Konstellation. Es ist heiß, ich genieße aber Baumschatten, was den Nachteil hat, ich seh mein Ziel nicht mehr. Ich seh gelegentlich nach unten - tolle Aussicht - und mache Höhenmeter, habe aber das Gefühl, die Richtung stimmt nicht, aber Zurück gibt es schon längst keines mehr. Also weiter. Ich mach schon mal sicherheitshalber ein Foto und schalte das Internet ein:) - zwecks Ortung für den Rettungshubschrauber. 

Ich gebe mir noch eine halbe Stunde, bevor ich nächste Schritte (haha) setze. Die da sein könnten: verzweifelt wen anrufen, sofern ich Netz habe. Netz hab ich. Ich sehe - Hoffnungsschimmer - mächtige Handymasten. Die stehen auch auf der Spitze des Berges, das weiß ich. Nicht in der Nähe der Kirche, aber immerhin oben. Ich bin wieder motiviert und beschleunige meine Schritte. Wenn ich nach unten schau, ahne ich schon, dass ich sehr weit abgekommen sein muss. Aber es ist ja noch früh. Ich habe eine Flasche Wasser, eine Banane, ein Käseweckerl und etwas Schokolade bei mir. Damit lässt es sich Tage überleben. Also weiter. 


Ich höre knirschenden Kies. Ich war noch nie so froh, ein Auto auf einem Kiesweg vernommen zu haben. Bald danach vernehme ich ein Hundekläffen. Auch das macht mich grad glücklich. Weiter, weiter, weiter und siehe da: ein Weg, ein richtiger. Da wandern auch Menschen. Ich frage einen, wo es denn zur Chiesa Grisa gehe, er ist überrascht und meint, da müsste ich quasi den Berg rum runter und dann wieder rauf. Es sei zwar markiert, aber man sehe es nicht wirklich. Gut. Das reicht mir. Damit kann ich arbeiten. Ich gehe also den Berg rum runter und begegne immer mehr Menschen. Und dann sehe ich sie endlich mal, die verdammte Käseecke. Jetzt plötzlich wieder ober mir. Aber machbar. Es wird immer lebendiger, ein Parkplatz muss nah sein, denn Familien spazieren mit Kindern, die nichts mehr hassen dürften, als spazieren. Auf den Felsen kraxeln oder bouldern bunt gekleidete Menschen. 

Ich bin auf sicherem Terrain und belausche eine Gruppe vor mir, die sich auch fragen, was es denn mit diesem komischen Segelschiff auf sich habe. Eine hat eine Antwort: Die größte Segeljacht der Welt (143 m) gehört einem russischen Oligarchen, wurde von Italien festgesetzt, ist über 500 Millionen Euro wert, der Oligarch lebte in der Schweiz (jetzt in Dubai), aber auf dem Schiff ist nach wie vor die Crew und die schippern halt mal da mal dort hin in der Bucht von Triest, aber weg dürfen sie nicht.

Ich darf am Samstag wieder weg von Triest und habe die Zeit gut nützen können. Ich habe viel geschrieben. Ich hatte schönen Besuch. Ich lese grad noch ein Buch, das ich vermutlich hier dann auch besprechen werde. Es hat zwar ganz schön viel geregnet, aber so kam ich wenigstens zum Arbeiten. Also alles gut. Zurück nach Triest nahm ich den Bus. Der fuhr zwar auch erst lange in die falsche Richtung - ich war schon an der Staatsgrenze. Aber irgendwann nahm er dann doch wieder Kurs auf die Stadt und exakt nach 60 Minuten (so lange sind die 1,80 € Tickets gültig) erblickte ich wieder Vertrautes und war erstaunt, wie viel man in kurzer Zeit erleben kann. 

Dass bei meinem Aufwärtstrip die Phantasie mit mir mitunter durchging und ich mir diverse Horrorszenarien ausmalte, setze ich als bekannt voraus und muss hier gar nicht näher ausgebreitet werden. Bin ja Autor, müssen ja galoppieren dürfen, die Gedanken. Die Kirche übrigens fand ich großartig. Sie wurde erbaut, weil der Bischof ein Gelübte ablegte, wenn Triest vom Bombardment verschont bliebe, eben als Dank eine zu bauen. Die Reiseführer würdigen sie meiner Meinung nach viel zu wenig. Ist im Grunde ein absolutes Alleinstellungsmal eine derartig abgefahrene Wallfahrtskirche. Am Fußweg dort hin könnte man noch arbeiten. 



Dienstag, 9. Mai 2023

Vom Winde verweht

Chips heben ab und streubefeuern den Nachbartisch, mir selbst flappt es ein Zuckersäckchen auf die Stirn, der Campariflaschenhals säuselt, zig Fähnchen auf Segelbootmasten flattern ehrfürchtig, was für die Topfklopfgeräusche sorgt, es ist nicht auszumachen. Ist's vielleicht die Deckelage? Vom Wortklang her würd's passen: Deckelage. Bloß nicht googeln, einfach mal so stehen lassen. Im Hintergrund gurgelt immer irgendwas aus den mächtigen Bäuchen der vor Anker liegenden Luxusliner. Wie die wohl erst auf hoher See rumrumoren? Windfrisuren und generell verwehtes Äußeres verbindet. Die Bora bläst uns alle gleich. 

Die MSC Splendida fährt für Panama, die Silver Moon hat nicht rückwärts eingeparkt. Die Splendida zählt mit 333 Metern Länge und 1.637 Kabinen eh zu den größeren Kreuzfahrtschiffen. Werben tut sie - bitte festhalten - mit "Kreuzfahrten neu: Ökologisch gedacht"! Ach, was habe ich vor dem Koloss stehend gelacht. Es ist mir alles ein Rätsel. 

Die Segelboote sind mir auch ein Rästel. Es sind so viele, es ist sonnig und windig, aber es fährt keins. Sind die nur zur Behübschung des Hafens da, gar überhaupt nur Deko? Die Möwen jedenfalls sind echt. Die schreikreischen und flugscheißen unnachahmlich. 

Aber all diese Boote... verhalten sich zwar nicht gänzlich unbootmäßig aber äußerst tümpelhaft. Nirgends wird ein Deck geschrubbt (die Splendida hat 18 Decks!); kein Käpt'n Iglo weit und breit; es wird auch mehr Bier als Kiel geholt, zumindest hier in der Pierbar. 

Ich bin landestegreif, sitze auf der Mole vier und hole und trinke Bier, schreib ich nur des Reimes wegen. Es ist Campari Soda, was ich kippe, das passt besser zum Nachmittag. Aber es ist wirklich die PIER-Bar im Marina-San-Giusto-Yacht-Club-Gebäude. Am Dach "the roof" pumpt Housemusic, auf der PIER-Terrasse lümmeln (neben mir) pastelgetönte Pärchen, die sich gegenseitig dafür loben, ein ganz besonderes Plätzchen abseits touristischer Pfade gefunden zu haben. Die Stirnen, Nasen und Unterarme werden minütlich röter.

Hoffe, durch diesen Eintrag mein Tagwerk vollbracht zu haben. Es wird mich ja gelesen, hab ich mitgekriegt. Ich reiß mich also zusammen, ich schwör. Ich lasse Triest gut dastehen, aussehen und weggkommen. Ich bin ja vorerst mal da und schreib auf, was mir unterkommt, auch wenn nicht wirklich was dabei rumkommt. So, jetzt reicht's aber für heute. Stuss jetzt!



Montag, 8. Mai 2023

Das Kreuz mit der Schifffahrt

Es mag so ausschauen, als hänge mir die Kreuzschifffahrt aus dem Hals raus. So weit ist es noch nicht, wird es aber wohl bald kommen. Jedenfalls ist das das erste Foto meiner Triestankunft am Sonntag, den 7. Mai 2023. Am nächsten Morgen standen da dann schon wieder zwei neue Pötte und die Kreuzfahrt-People schwappten in die Altstadt, nein, überschwemmten diese. Mein Apartment ist inmitten der Altstadt an der Piazza Cavana. Ich muss das Zimmer gar nicht verlassen, um die ganze Atmosphäre aufzusaugen. Perfekte Lage, Negozi Alimentari und Kaffeegenussplätze die Menge rundum. Alles ganz toll und ganz schön voll. 

Ich bin grad mal am mich und den Kühlschrank Einrichten. Die Bora hat sich mir noch nicht persönlich vorgestellt. Und das ist meine Aussicht:

Gestern Sonnenschein, in der Nacht Regen, jetzt Wolken - Triest zeigt mir schon mal einige Seiten und ich bin bereit, sie zu lesen. Apropos lesen. 

Mit der Einfahrt in den schönen Kopfbahnhof von Triest habe ich "Rosa gegen die Verschwendung der Welt" fertig gelesen und werde den neuen Roman von Nadja Bucher auch in der nächsten Ausgabe des DUMs besprechen. Womit der persönliche Arbeitsauftrag schriftlich festgehalten wäre, und somit auch eingehalten werden muss. 

Ansonsten werd ich mich der italiensichen Küche hingeben und vermutlich in ein neues Projekt reinknien und täglich ein Blogeintrag sollte sich auch ausgehen. 



Mittwoch, 3. Mai 2023

mea ois wia miad

Ja, ich bin mehr als müde und überglücklich. Das war eine großartige Zeit in Leipzig. Lauter tolle Veranstaltungen, mehr Menschen als man sich erwünschen hätte können, auch mehr Kolleg*innen. Wir haben gleich zum Auftakt das Slam-Ländermatch gegen Deutschland super-spannend-knapp gewonnen und uns so sieben Bäume in Sachsen gesichert, die demnächst gepflanzt werden und wir künftig besuchen können. 

Es war die ganzen Tage über perfektes Aprilwetter, man ging also gerne rein in die stickig-wohligen Messehallen und Veranstaltungsräume. Das Ur-Krostizer kann man gut trinken. Ich habe die erste Fettbemme meines Lebens gegessen und muss sagen: ist auch nur ein Schmalzbrot mit Gurken. Aber dagegen gab es ja noch nie was zu sagen. 

Die Literadio-Lesung war die reinste Freude und ist hier nachzuhören. Da entstand auch das Kopfhörer-Headset-Foto (vielen Dank!). Die Sonderzahl-Lesung in der Galerie KUB zum Thema "In vollen Zügen" war auch der Publikumshit schlechthin (Danke Jaroslav Rudiš! Oben zu sehen Dieter Bandhauer und der Sonderzahl-Stand). 

Foto: Literradio.org
Dazwischen war Zeit genug, zwischen Halle 4 und 5 abzuhängen - mehr schaffte ich leider nicht und da hab ich es auch nicht zu allen Ständen, die ich mir vorgenommen habe, hinzugehen. 

Aber es war ein Fest der Literatur, das ich mit Bieren im Hexenkessel bei 1990er Musik ausklingen ließ, um dann in den FLIX-Bus nach München einzusteigen, und um 4:45 Uhr im ZOB ausgespuckt zu werden. München von seiner schönsten Seite: Betrunkene in Lederhosen und Miniröcken, alles am Bahnhof noch zu und auch alle zua. Verdichtung total.
So muss ein Buchmessenwochenendeausklang. 

Hinterleuchtete City-Light-Poster in Rotation erwarteten und begrüßten uns in Leipzig. Dass es davon auch noch ein Postkartenset gibt (25 Karten), freute uns natürlich ganz besonders.

Mittwoch, 26. April 2023

Papageil


Buchpräsentation in der Wagnerschen in Innsbruck. Robert Renk hat extra sein Zeitungshemd aus Barcelona angezogen, um sich einen seriös-journalistischen Anstrich zu verleihen. Gast Markus hat sich auch nicht lumpen lassen und schlüpfte zum ersten Mal in sein neues Berlin-Hemd, das nicht nur sehr pink ist, sondern auch sehr papageil. 

Muss ja auch mal über das Outfit geredet werden bei Lesungen, kann ja nicht immer nur um Text, muss schon auch mal um Textilien gehen. Textilien also schon mal exquisit, Text konnte mithalten, behaupte ich hier einfach ganz forsch, ist ja mein Blog, mein Text, mein Hemd. 

"Mein Blog, mein Text, mein Hemd" wäre ein guter Titel für einen Raptrack, "Das Dorf ist wie das Internet, es vergisst nichts" ist ein guter Debütromantitel. Es ist mein vierter Debütroman. Irgendein Alleinstellungsmerkmal braucht man eben. Ich mach in viele Debüts. 


Robert Renk ist nicht nur der charmanteste Moderator, er ist auch der beste Buchhändler und - das bleibt jetzt leider picken - ein Chef zum Verlieben. Es wurde gequatscht, gelauscht, gelacht. Es wurde auch getankt und gekauft. In Summe also ein voller Erfolg. Manche gingen mit Büchern heim, manche mit einem Räuschchen, niemand allein. So soll es sein. Danke Robert, danke Innsbruck-Publikum, Juhui und bis zum nächsten Buchbesuch. 

Jetzt geht es gleich Richtung Leipzig. Die Deutsche Presse scheint mich schon mal zu lieben: https://www.tagesspiegel.de/kultur/tourguide-in-die-alpenmentalitat-markus-kohles-romandebut-9711731.html


Freitag, 21. April 2023

Sternlesung in Güssing


Drei sechste Klassen des BORG Güssing versammelten sich im Werkraum der Schule und gaben ein interessiertes, aufmerksames und fragendes Publikum ab. Der erkrankten Lehrerin Beatrice Halper sei an dieser Stelle gedankt, Kollege Peter Grandits hat übernommen, irgendwer hat mich auch mit Kaffee versorgt und irgendwer hatte auch Geburtstag. Es ging also hoch her im Lehrerzimmer und im Werkraum. 

Im Auftrag des Projekts "Sternlesen" initiiert von Marlen Schachinger (#sternlesen, #institutfuernarrativekunst) trat ich also die Reise ins vermeintlich nahe Burgenland an, um dort "Herzblessuren" (von Ines Strohmaier) und meinen Roman "Das Dorf ist wie das Internet, es vergisst nichts" auszupacken und auch vor Ort zu lassen, auf dass beide Bücher möglichst herumgereicht und gelesen werden mögen.

Dass am Sonntag Welttag des Buches ist, ließ sich beiläufig sagen. Bekanntlich kann man alles, was man sagen kann auch beiläufig sagen - Danke Elfriede Gerstl! 


Dass grad in allen Bundesländern Sternlesende unterwegs sind, wissen die sechsten Klassen des BORG Güssing auch und dass es morgen, bei strahlendem Sonnenschein auf dem Rathausplatz St. Pölten zu einem großen Sternleseauflauf kommen wird, bei dem zwar keine Sterne vom Himmel geholt, aber sicher unter anderem NÖ die Leviten gelesen werden, ist auch kein gehütetes Geheimnis. Im Gegenteil es sei hiermit hochoffiziell ins Internet eingraviert: 


Ab 17 Uhr Rathausplatz. Sternlesen ohne Maulkorb mit allen Beteiligten. Siehe:  www.ink-noe.net

 

 

Ein Herz für Brutalismus: Güssing


Wenn einer eine Lesereise tut, dann hat er was zu erzählen. Er hat auch was zu sehen. Er ist ich und ich staunte über die Vielzahl von klassisch brutalistischen Bauwerken in Güssing und Umgebung. 

Das Kulturzentrum und die Stadtbücherei in Güssing sind schön kubisch einbetoniert und somit gut verankert in der Stadt und neben dem Rinnsal, das ich grad nicht zu benennen weiß. Was ich aber weiß, ist, dass die Uferpromenade (um das Wegerl hier mal so hochtrabend zu benennen) den Namen einer Medaillengewinnerin der Winterolympiade in Sotschi 2014 trägt. Ich glaube es war irgendwas mit Snowboard und Paralell und das ist - so flach wie hier einem alles entgegenkommt - schon sehr bemerkenswert. 


Dass Waschbetonplatten hier gerne Fassadengestaltungselement sind, ist mir auch aufgefallen und dann, dann war ich natürlich angetan von den Güssinger Garnelen. 

Ja, wer eine Sternlesereise (#sternlesen, #institutfuernarrativekunst) tut, hat was zu erzählen, was zu sehen und gegessen habe ich dann im traurigsten China-Restaurant der Welt. Was schade ist, denn geschmeckt hat es gut. Also Essen vier Sterne, Atmosphäre ein schwarzes Loch. 

Güssing - Ort der Extreme.
Güssing - Heimat der Superlative.
Güssing - already missing you!


 


Donnerstag, 20. April 2023

Burgenland - eine fremde Welt

Es wird einem nicht einfach gemacht, nach Güssing zu kommen. Güssing ist im Nachbarland Burgenland. Da sorgt der Herr Doskozil für funktionierenden öffentlichen Verkehr, denkt man sich. 

So schwierig kann das nicht sein. Ist es aber doch. Wenn ich vor 10 Uhr 45 in Güssing ankommen will, was ich will, vereinbart ist die Sternlesung (#sternlesen #institutfuernarrativekunst) um 10 Uhr im BORG Güssing, dann müsste ich um 4:00 vier Stunden lang fahren: von Wiener Neustadt nach Oberwart, von dort nach Stegersbach, um dann schließlich um 8:14 Uhr im Schulzentrum Güssing aussteigen zu dürfen. Ich finde, das ist nicht zumutbar. Ich entschließe mich also, am Vortag schon anzureisen. Ich möchte den Ort ja auch zu spüren kriegen. 

Erste Challenge: Finde die Haltestelle am Matzleinsdorferplatz. Da ist grad alles eine einzige Baustelle und die Haltestelle ein improvisiertes Nichts im Nichts. Hinweise und Informationen sucht man vor Ort vergebens. Ich bin sehr früh dran und finde mich leidlich zurecht. Aber er kommt pünktlich, der Bus G1. 

Es ist ein Doppeldecker, er ist voller Schlafwilliger. Die Fenster sind verdunkelt, die Sitze im Liegemodus. Ich erwische den letzten freien Platz und will lesen. Bin ja immerhin auf Lesereise. Ein Buch hält hier aber kein Mensch in Händen. Die Menschen sind müde. Es sind Pendler*innen die wohl mindestens seit 4:00 Uhr auf den Beinen sind. Es ist ruhig im Bus: Kopfhörer und Nackenhörnchen Standardausrüstung. Es läuft immerhin kein Radiogedudel. Wir rollen stadtauswärts. 

Erste Windräder, letzte Möbellager, Shoppingcity Süd. Äcker, Felder, schüttere Wälder. Linkerhand Flachland, rechterhand Hügelchen. Jetzt aber im Schallschutzmauertunnel. Nur mehr Autos und LKWs zu sehen und im Himmel Starkstromleitungsgeflechte. Zeit, selbst die Augen zu schließen. Es gibt hier nichts zu Versäumen.

Nach 75 Minuten erster stopp im Park & Ride Schäffern an der A2. Geschätzte 100 PKWs warten auf ihre Lenker*innen. Die Einfamilienhäuser mit Garten, Garage und Zaun warten auch. Da eine bedienungslose Tankstelle mit Amazon-Abhol-Station - dort die üblichen Supermärkte mit großzügigen Parkplätzen. 


Ja, Österreich ist das Autoland schlechthin. Werde ich sie finden, die großen Inovations-Zentren für Nehammersche E-fuels? 

Vorerst sehe ich ein Schild mit Doppel-Ö: Felsöör. Ungarn muss nah sein. Stelle mir unter Felsöör ein sehr schroffes, gebirgiges Ohr vor. Aber Felsöör ist wohl einfach Oberwart. Wer weiß das schon?! 

Bausündenfallstudien an der Grazerstraße. Tore, Dächer, Steiinmetzeleien. Ein Gewerbegebiet mit einem Herzstück aus dem ältesten Gewerbe der Welt: A2 Laufhaus und rundum Hallen, Lager, Schauparks. Strangregulierung, Thermostatventile und Wärmepumpen. Sind Laufhäuser nicht auch nur Wärmepumpen?

Das Vitalhotel in Ollersdorf wirbt mit Leberspezialitäten und Steakwochen. 

Der Gurkenprinz ist in Stegersbach daheim. 

Am Straßenrand wird für die Erotik-Messe, die Schlagernacht und für Kürbiskernöl geworben. 

Um 17 Uhr komme ich in Güssing an. Güssing scheint kein Interess an nicht autofahrenden Gästen zu haben. Mein Hotel ist nicht im Zentrum.

Es hat die Adresse Europastraße an der Wienerstraße. Die Wienerstraße war wohl immer schon das Letzte und die Europastraße wurde wohl erst unlängst, im Zuge der Gemeindegebietserweiterung, erfunden. 

Das Hotel heißt Freiraum und erwaratet mich mit viel Landschaft.



Mittwoch, 19. April 2023

Sternlesung zum Welttag des Buches


Der Welttag des Buches fällt auf einen Sonntag. Aber vorgelesen darf natürlich immer werden.
Ich mache das am Freitag, den 21. April im BORG in Güssing und am Samstag, den 22. April am Rathausplatz in St. Pölten und zwar im Rahmen des Projekts Sternlesung initiiert von Marlen Schachinger:
#sternlesen 

#institutfuernarrativekunst

Der Presse gefällt das: https://www.noen.at/st-poelten/welttag-des-buches-abschluss-von-sternlesen-in-st-poelten-mit-lese-flashmob-und-mehr-st-poelten-363084091 

Ich werde mich schon morgen in Güssing einquartieren, um ein bisschen den Spirit vor Ort aufzunehmen.
Gebloggt wird hier dann auch.

Donnerstag, 16. März 2023

Kurzzeitausstieg im Stundentakt

 

4:30 Uhr: Das Klimaticket gilt schon mal nicht. Das ist zwar ein Postbus aber eine Ausnahme. VAL: Vienna Airport Service. Egal. Zahle gerne 9 € statt 40 fürs Taxi und rollkoffere zum Munterwerden zum Westbahnhof. Die Berufsmunteren sind klar von den Urlaubsmüden zu unterscheiden. Mögen die Müden erholt wieder zurückkomen. Ich bin einer der Müden. Ich fahre auf Urlaub. Spontan. Mit Robert. Jausensackerlgeraschel, verkabelt Kommunizierende, Schlafende, Vor-sich-hin-Starrende, Tablettiger, Kopfhörerabgekapselte und ein Notizbuchschreiber. Mach mich wach durch Rundumschau. Barcelona ich komme!

5:30 Uhr: Gepäck losgeworden, ohne Pieps durch den Körperscan, gönn mir Frühstückespresso und Banane from home. Glückt mir jetzt noch eine kompakte Stoffewechselproduktverabschiedung auf heimischem Boden, bin ich bereit für Barcelona.

6:30 Uhr: Kompaktes Glück war nicht – explosives sehr wohl. Die Allerglücklichsten aber scheinen grad Rauchende zu sein. Denn in den Rauchzellen – den Fumarien – herrscht ausgelassene Stimmung. Rauchen ist verbindender als Gassigehen. Gemeinsames Abaschen hat was Existenzialisitisches. Feuergeben ist die selbstverständlichste, alle Sprachbarrieren, sozialen Schichten und sonstige Differenzen überwindende Geste, die einfacher Solidaritätsakt bleiben oder gleich zu einem Gespräch führen kann. Schon allein deshalb kann sich rauchen lohnen. Sprich am Flughafen zu dieser Zeit sonst mal einfach so wen an – kommt akward bis creepy. Im Fumarium ist alles Schall und Rauch. Ein paar Züge lang ist alles leicht, sind alle gleich. Sucht verbindet. Am Wiener Flughafen sind die Glasboxen fröhlich bunt verpixelt, gewähren Einblick, bieten aber auch Sichtschutz. Der nichtrauchende Notierende staunt über die Frequenz und beneidet die Schicksalsgemeinschaft, die sich international mit Rauchzeichen verständigt. Es sind sehr erwachsene, erfahrene Rauchende. Alle verlassen ihren Versammlungsort mit einem Lächeln auf den Lippen, die wohl auch noch sanft brennen. Ein loderndes Lächeln nach einer kurzen Auszeit unter Gleichgesinnten. Schön eigentlich. Saufen ist aufwendiger. Die Effizienz von Zigaretten als gesellschaftliches Bindeglied gehört wieder mehr thematisiert. Das aber können nur Nichtrauchende machen, die Nutznieser*innen dieser letzten Bastion des beglückenden Kurzzeitausstiegs sind wohl nicht daran interessiert, Trittbrettrauchende anzulocken. Apropos beglückender Kurzzeitausstieg: Barcelona, ich boarde!

7:30 Uhr: Fenster platz. Unter mir werden die Gepäckstücke ins Flugzeug befördert. Es rumpelt im Flugzeugbauch. Muss an Grönemeyer denken. Hinter mir hat ein Stinker Platz genommen. Noch riecht man das. Bald wird das Klima ein alles Überdeckendes und Verzeihendes sein. Furzen im Flieger war noch nie ein Problem. Der Schweißmann hinter mir setzt sich aktuell aber noch ganz schön durch. Die Koffer und Kinderwägen sind verstaut. Das Förderband-Fahrzeug schleicht sich ebenso wie der Gepäckstücktransporter, der einer Mini-Rangierlok gleicht und am Rollfeld von dannen gleitet. Die Reihen sind voll besetzt. Die Zustiegsschlange zeiht sich zurück. Es ist keine Röhre, es ist ein Kanal, ein Schacht, der sich zurückschachtelt, abdockt und nunmehr mit dem Andockelement in der Luft hängt. Die AUA-Strauß-Klänge sind vom Klimaanlagengesurre unterlegt – Symphonieorchester mit Stausaugergebläse. Hinter dem dem benachbartem Flieger flirrt die Luft bereits. Die Turbinen sorgen für Wirbel. Habe Blick auf die Flügel und schon parkt ein ankommendes Flugzeug. Die Räder werden ganz old school mit gelben Pflöcken verkeilt. Die Schlange kommt wieder aus ihrem Nest und schmatzt sich um den Ausstieg. Das Gepäcksförderbandfahrzeug ist auch wieder zu Stelle. Der Tankwagen ebenso. Unter dem Hinterausgang wird angezapft. Wir verrollen uns rückwärts. Der Schwitzer ist immer noch zu riechen. Jetzt schnarcht er auch noch. Es folgen die Sicherheitsanweisungs-Demonstrationen der Flugbegleiter*innen. Es war echt mal, cool Schwimmwesten aus Fliegern mitgehen zu lassen. In unserem WG-Klog hing eine. Ready for take off! Barcelona, ich fliege!

8:30 Uhr: Die Schweiz von oben ist ein Juwelierladen voller edel weiß gekörnten Bergketten. Da und dort hingeworfene Häuserhäufchen. 

9:30 Uhr: Die Schneespitzen werden weniger, die Besiedlung dichter. Plötzlich ein Becken. Der Flieger wird ganz schön gebeutelt: unruhige Luft und kein Frühstück, nur Wasser und ein AUA-Schokoladentaler. Wo sind wir? Ist das schon Frankreich? Leider keinerlei Informationen vom Chefpiloten und auch keine Monitoren. Schade. Sehe so viel und kann es nicht benennen. Die Landschaft wird immer weicher, die schneebedeckten Berge rücken immer mehr in die Ferne. Unter mir jetzt auch schon Küstenstädte. Landeanflugslautstärke. Wir kreisen über dem Meer, fahren das ganze Rollfeld ab: Straußgedudel am Asphaltparkett. AUA-Flieger auf Parkplatzsuche. Barcelona, willst du mich nicht?

10:30 Uhr: Sitze im Zug, stehe in der Pampa. Aber Barcelona in Sicht!

11:30 Uhr: Sitze mit Espresso in der Sonne. Rund um das Hotel sitzen lauter Jugendliche am Boden. Das ist hier nicht automatisch eine Protestaktion. Es ist warm genug, am Boden zu sitzen. Alle tragen Sonnenbrillen. Ich auch. Alle schauen auf ihre Smartphones. Ich abwechselnd in dem Baedeker und den Marco-Polo-Reiseführer. Die große Faltkarte habe ich noch nicht ausgepackt. Trau mich nicht. Ich find mich auch so in dir zu recht: BARCELONA.