Mittwoch, 25. September 2024

Rambutan und Mangosteen

Was klingt wie ein Zauberspruch, sind zwei Früchte, die ich gestern erstmals gegessen habe. Aufgefallen ist mir Rambutan schon in Naga-City auf der Straße. Denn diese Frucht fällt auf. Aber weil ich nicht wusste, was man damit macht, habe ich abgewartet, bis ich kundige Leute fragen konnte. Da der gestrige Tag nicht wie erwartet mit Kongress an der Uni gefüllt war, weil es einen Streik der öffentlichen Verkehrsmittel gab also der Jeepneys und der Tricycles (der nicht ganz so ernst genommen wurde) und die Veranstaltung daher verschoben wurde, hatte ich die Gelegenheit, einen reinen Touri-Tag in Manila zu verbringen und das unter sachkundiger Führung von Madeleine und Jonathan. Rambutan und Mangosteen sollten wir schließlich in der größten Mall Asiens erstehen. Ich machte Fotos von weiteren Früchten, die ich noch nie gesehen hatte und hatte meinen Spaß in der Obst- und Gemüseabteilung. Rambutan genießt den Ruf, die Alien-Frucht zu sein. Ob es Legende oder Wahrheit ist, werde ich bei nächster Gelegenheit überprüfen. Aber Rambutan soll es sogar in Hollywoodfilme geschafft haben, als Frucht auf außerirdischen Planeten und ja, ich verstehe warum. Rambutan ist, einmal gelernt, recht einfach zu öffnen und essen und ist sicher sehr gesund, nicht nur süß und auf jeden Fall sehr dekorativ. 

Mangosteen (am Foto links ist was Anderes zu sehen, war zu teuer, kann ich nicht identifizieren) ist äußerlich nicht ganz so salonfähig und einmal geöffnet, wird man erneut überrascht. Denn das Ganze schaut aus, wie Knoblauchzehen und mitunter kommen diese sogar sehr schleimig daher. Das ist ein bisschen eine Überwindung aber geschmacklich dann unübertrefflich. Die größeren Zehen haben größere Kerne, die kann man fast absaugen, ablutschen, die kleineren Zehen schlürft man als Ganzes ein und der Tagesbedarf an Vitamin C dürfte dadurch gedeckt sein. Rambutan heißt Nephelium lappaceum und ist ein Seifenbaumgewächs. Das sei hier nur angemerkt, weil ich Nephelium ein schönes Wort finde und mir Seifenbäume auch gut vorstellen kann. Überhaupt die Phantasie! Die wurde ja so angeregt in den letzten Tagen. Immer wenn rund um mich Sprachen gesprochen wurden, die ich nicht kannte, hatte ich mir ja vorzustellen, was gerade geredet wurde und da ging sie mitunter mit mir durch. Das hat ganz schön Spaß gemacht, war aber auch anstrengend. Jetzt mal einfach nur nichts reden, aufnehmen, sehen, lernen, tun, wird sicher auch super.

Ampalayas sind Bittermelonen, die sich in Salaten sehr gut machen. Es gibt sie in allen Größen. Sie sind meiner Meinung nach auch sehr schön. Generell haben Melonen hier einen Stellenwert von Rang. Das war auch in Zentralasien schon so. Da war man ja auf die Honigmelone der Gegend stolz. Hier gibt's schon zum Frühstück Wassermelonen, Bananen, die ganz ansders ausschauen, als wir sie kennen - viel kleiner und nie so makellos gelb und Mangos schmecken in echt auch anders, als das, was wir so vorgesetzt kriegen. Habe gestern so viel Mango-Juice getrunken wie noch nie in meinem bisherigen Leben insgesamt. Denn es musste ja auch der grüne, säuerliche Mangojuice gekostet werden, nicht nur der süßlichere reife.

Aber natürlich habe ich auch allerlei Fleisch zu mir genommen. Einmal ganz besonders gut getarnt in einer Soße, die wie Curry ausschaute, aber Erdnusssoße war. In Kankan schwamm allerlei definitiv auch Innereien. Leber und Lunge, Zunge und Schwanz - hab ich alles anstandslos gegessen. Bin ja neugierig und wenn ich nicht schon zum Frühstück Knoblauchreis und Zwiebelbeef in mich schaufeln muss, dann bin ich durchaus auch experimentierfreudig in allen, nicht nur kulinarischen, Belangen. 

Und hier noch der Blick vom Restaurant auf Manila.




Dienstag, 24. September 2024

Pangangalagkalag for handkerchiefs

Vermutlich muss die Überschrift dieses Beitrags kurz erklärt werden. Ich bin ja grad auf den Philippinen und jetzt zwar wieder in Metropol Manila (also dem Großraum Manila, der aus mehreren Städten besteht, ich bin grad da, wo auch die Regierungsgebäude und die wichtigste Uni sind, in Quezon-City), war aber die letzten Tage in Naga-City. Auf den Philippinen werden an die 170 verschiedene Sprachen gesprochen. Seit 1937 ist Tagalog die Nationalsprache und Englisch eh auch Alltagssprache. In Naga aber wird Bikol (oder auch Bicol) gesprochen und "Pangangalagkalag" ist Bikol und heißt "searching for" und was ich in den ersten vier Tagen auf den Philippinen hauptsächlich tat, war nach Taschentüchern zu jagen. Grund dafür war der Flug von Bangkok nach Manila. Das war eine fliegende Gefriertruhe. Alle verlangten nach Decken, alle husteten, niesten, schlotterten und in Manila angekommen rannen alle Nasen. Meine natürlich auch und zwar ganz besonders schnell. Schnell waren auch meine Taschentuchvorräte aufgebraucht und dann wollte ich halt Nachschub besorgen. Aber das sollte sich gar nicht so leicht darstellen. 

Mir war schon aufgefallen, dass sich niemand hier schneuzt, dass es auf Toiletten aber immer ganz schön rund ging. Da wird in Waschbecken gekotzt, da wird geschlazt, gerotzt, ausgeschieden was geht und das durchaus lautstark. Aber schneuzen in der Öffentlichkeit scheint ein Tabu. Das war ja in Zentralasien auch schon so. Dort war sogar das Pfeifen verpönt. Dabei gehe ich doch gerne beschwingt und fröhlich durch die Gegend und pfeif mir eins. Jedenfalls war weder im 7/11 noch in der ersten Drogerie, die ich fand, so etwas wie Taschentücher zu kriegen. Ich hätte mir Baby-Hintern-Abwischtücher kaufen können. Aber Taschentücher - nope. Meine Nase verlangte aber nach Napkins, Servietten, Klopapier etc - irgendetwas. Sie forderte das zunehmend unkontrollierter ein. Ich tropfte, leckte bei jeder Gelegenheit. Das war mitunter peinlich. Denn ich bin ja schon in offizieller Mission hier. Nein, sag nicht Mission. Das geht gar nicht. In offiziellem Auftrag. 

Ich arbeite hier mehr, als anzunehmen war, aber immer anderes als gedacht. Egal. Eine andere Geschichte. Jedenfalls entwickelte ich sehr schnell eine effiziente Art, mich mit Nasenstoff zu versorgen - lass es uns sanfte Beschaffungskriminalität in Sachen Papierwaren nennen. Sah ich auf Tischen Serviettenspender, schlug ich blitzschnell zu. Gab es auf Toiletten mal Klopapier, zwanzig Blätter waren mein. Sogar Papiergedecke auf Tischen waren nicht immer sicher vor mir, denn ich hatte stets auch vorausschauend zu agieren. Ich brauchte Vorräte. Alles was ich tat, tat ich mit Blick auf meine Nase. Meine Nase hatte Vorrang und es sollte noch lange dauern, bis ich irgendwo Mini-Hankies fand. Aber dazu später. 

Mittlerweile geht es  mir und meiner Nase wieder ganz gut. Sie überrascht mich nur mehr selten. Hat es aber offensichtlich genossen, tagelang im Mittelpunkt zu stehen.

Freitag, 20. September 2024

Hauptpostgorilla

 „Schau ich aus wie eine Brieftaube?“, fragt mich die Frau am Info-Schalter und belegt mich mit einem beschämenden „Tz-tz-tz“. Am Abend wird sie ihren Freundinnen erzählen, dass heute wieder mal so ein Steinzeittourist bei ihr war und eine Ansichtskarte verschicken wollte.

Jetzt war ich so froh, mit dürftigem Kartenmaterial die wirklich alles andere als zentrale Hauptpost gefunden zu haben und dann das. In der ganzen Stadt sind keine Ansichtskarten zu finden, das hätte mir zu denken geben sollen. Natürlich gibt es in der Hauptpost auch keine. Das Postgut Ansichtskarte ist in Kasachstan ausgestorben. Ob es digitale Grußkarten gibt? Sicher. Ich komme mir schrecklich alt vor und habe urplötzlich Lust auf einen Schluck Buerlecithin oder auch Klosterfrau Melissengeist und bin mir gleichzeitig nicht sicher, ob es diese Kräutergeistfitmacher überhaupt noch gibt. Der Energydrink hierzulande jedenfalls heißt Gorilla. Red Bull ist nicht wirklich präsent. Auch kein Schaden.

Ich bin ein Silberrücken auf Reisen in Smart-Citys in Zertralasien. Gebt mir einen Kompass, ein Fernrohr und gerne auch einen Humpen Bier und ich finde mich zurecht und bin glücklich.  

 

Schwarzfahren in Astana

 „Schau ich aus wie ein Opferstock?“, fragt mich der Busfahrer und winkt mich angewidert rein. Am Abend wird er seinen Freunden davon erzählen, dass heute wieder mal so ein Steinzeittourist seinen Bus betrat und mit Münzen bezahlen wollte. 

Legitimiertes Schwarzfahren - so starte ich nach Astana. Mit zwei aufgeschalgenen Karten am Schoß versuchte ich mich zu orientieren. 

Ich weiß nur, wo die Endstation ist (weit weg von meinem Ziel), die Route des Busses kenne ich nicht. Die haltestellenstopps kann ich nicht lesen. Spannend. Erst kommen lange nur Baustellen und Werbe-Baustellenverkleidungen, die auf die Nomad Games hinweisen - kilometerlang. 

Dann Beflaggung: die kasachische und die deutsche Flagge - hunderte. Hallo, ich bin Österreicher!

Schulz ist da. Ich sollte ihn später im Fersehen inmitten von grimmig blickenden Anzugmännern herauserkennen. Fröhlich schaut er auch nicht aus. Es geht vermutlich um milliardenschwere Deals. Vielleicht erzählt Schulz vom Flughafen Berlin, vom Bahnhof Stuttgart oder von der Deutschen Bahn an sich und stellt Verbindungen zum schleppenden Schwebebahnbau her. Ja, verkehrspolitisch ginge da schon noch was. Da können die Hochhäuser der internationalen Stararchitekten noch so glänzen und funkeln im Sonnenlicht. Wer in den 1990er Jahren groß strategisch eine Hauptstadt aus dem Steppenboen stampft, hätte schon ein Verkehrskonzept mitdenken können, das mehr zu bieten hat als mehrspurige Straßen für Autos. Busspuren sind selten. Straßenbahn und U-Bahn gibt es nicht und das einstige Prestigeprojekt Hochschwebebahn hätte zwar gut ins futuristische Stadtkonzept gepasst, war aber dann doch nicht so wichtig, weil öffentliches Verkehrsmittel und wer fährt hier schon freiwillig öffentlich, wenn er*sie Autofahren kann. Ja, die Winter sind lang hier. Aber ob Staustehen im eigenen Auto angenehmer ist, als sich verkehrsmindernd zu verhalten? Ich frage nur. 

Das beste Verkehrskonzept der Stadt sind die doch überraschend vielen schlafenden Polizisten in Nebenstraßen. Da brettern die getunten, verspoilerten Boliden nämlich nicht, nur die die SUVs drüber. Das Verkehrsbild ist hier nämlich - von Usbekistan kommend - extrem bunt. Das heißt: alle Marken, Farben, Jahrgänge vom Luxus-E-SUV über Hummer, Mustang, Raptor-Proll-Wägen, Audi-, Medcedes-, BMW-Klassikern, Lada Oldtimern und LKWs aus einer anderen Welt und Zeit - alles, was noch irgendwie fährt, fährt hier beziehungsweise steht. Hyundais in der Überzahl, nur Teslas habe ich noch keine gesehen. Auch kein Schaden. 

Alles stinkt zum Himmel, der zwar erfreulich blau ist, dennoch ist es kalt. Der Wind geht einem an die Knochen. Ich gehe mit ihm aber nicht nur. Eine harte Stadt. Hart bin ich auch. Die Straßen entlanggehend wünsche ich mir mitunter eine Maske, vor allem wenn sich Kanalgeruchsschwaden in den Abgascocktail mischen. Mmhhmmhh! 

Freilich könnte ich mir ein Yandex rufen, wie es alle machen. Mach ich aber nicht. Weil ich stur und politisch bin. 

Ja, ich passe mich nicht an, verrate nicht meine Ideale, gehe mit dem Kopf (aber vor allem mit Füßen und Beinen) durch die Wind- und Verkehrswand. 

Nimm das - Astana!

Samstag, 14. September 2024

Schöne und ganz schön verstörende Seiten

Ein subjektives Aufblättern Taschkents

Oh, Taschkent, du bist mehr Smart-City als ich Smartphone-affin bin
Taschkent, du bist heiß, bist fettig, bist süß
Taschkent, du bist auch grün, grüner als erwartet
Aber, Taschkent, du bist auch noch grün hinter den Ohren
Bist in der Entwicklung
Taschkent, lass mich ein wenig über deine Architektur palästern

Taschkent, du ornamentaler Plattenbau - gestern
Du neoklassizistischer Prunk - heute
Taschkent, du Karimov-Palast-Altlasten - gestern
Und postmodern-eklektische Bausünden - heute
Ja, Taschkent, du bist hochhaushinaus

Lass dich aufblättern, Taschkent, lass dich zerfleddern
Teschkant, Tischkont, Toschkint, Taschkunt, Tuschkent
Lass mich aufzählen, was ich an dir mag und was nicht
Denn mal kann ich dich, mit deinen überall wuchernden, wohlriechenden Basilikumbüschen riechen, mal nicht


Taschkent, du zehnspurige Stadt-Autobahn in schwarz-weiß Chevrolets

Du zeitlos originelle Mosaik-Brandschutzmauerngestaltung und einmalige Fassaden-Betonornamentierung

Taschkent, du nächtliches, kunterbuntes Hochhauslichtspielspektakel und tägliches  schwarzweiß-schlichtes Schuluniformen-Defilee
Überhaupt - Taschkent - deine Uniformfarben der diversen Ordnungshüter - apropos: dürfen, Frage, übrigens nur Männer zur Polizei?
Deine Uniformfarben jedenfalls von sand-senffarbenem Flecktarn bis zum schicken Tiefpetrol mit roten Hosenstreifen und Zylinderdeckelkapperl machen mich jubilieren

Die Trillerpfeifenkonzerte der ampelersetzenden, verkehrregulierenden Polizisten machen mich staunen und Kopfschütteln gleichzeitig
Ja, ich sage staunen statt stauen
Die Ungeduldshupkonzerte der Stauenden freilich haben gerade noch gefehlt
Aber schön sind die Enden, die in Stauende stecken

Und wenn wir schon von Enden reden: Einzigartig sind wohl die Hammelhinternexpositionen der Basarfleischstandler

Auch die Eierstandästhetik dort, die schlichte Eintönigkeit der geschichteten Kartons ist restlos überzeugend, da können die Gewürzstandler noch so mit Farbexplosionen arbeiten - manchmal ist weniger mehr, zum Beispiel - oh ja, Taschkent - beim Verkehr
Die Autos sollten kleiner und weniger, nicht größer und mehr werden, BYD!

Aber, Taschkent, ich bin verliebt in deine Metro und die ambitionierte Beherztheit der rot eingerichteten Fahrradstreifen finde ich süß
Die ignorieren zwar alle, sind zugeparkt und werden nicht mal von Fahrradboten benutzt, denn die fahren auf den Gehsteigen, aber sie sind eine Ansage
Süß auch die immer schneller trippelnden, grünen Ampelmännchen, die einen Laufen machen, bevor sich die lauernde Automeute auf einen stürzt

Bitter hingegen die Unerklärlichkeit von Plastikbechern not to go
!
Plastikbecher to sit and drink in a fancy place, in shitty plastic-trash-cups
Why Taschkent?
Süß wiederum das Erfrischungsgetränkeangebot in gut gekühlten Minibanzen
Gut dass es die noch gibt
Denn generell, Taschkent, bist du den Softdrinks ausgeliefert

Taschkent, du bist pepsiiert und vercocacolat
Aber weißt die Plastikflaschen des Zuckergesöffs immerhin genial improvisiert zu nutzen für Plastikflaschen-Rasensprenkler-Konstruktionen im Grünstreifen
Aber die allgegenwärtige Werbebeballerung mit Megamonitoren nervt
Ich liebe das Hotel Uzbekistan bei Tag und ich hasse es bei Nacht, denn da wird es zur Litfaßsäule

O ja, Taschkent, dein Zentrum ist groooß

Dein Zentrum ist weitläufig, seelen-, charme- und stillos
Taschkent, dein Zentrum ist turbokapitalisiert in die Höhe geschossen
Dein Zentrum ist weitgehend entplovt dafür aber verburgert
Taschkent, du bist von Fastfoodketten gefangen aber immerhin McDonalds-frei und Burgerking-los

Und da und dort gibt es sie natürlich noch die zig Plovvarianten und Schaschlikmarinaden, die Rauchschwaden der Holzkohlegrillstationen, die an den Backofenwänden klebenden Brotlaibe, das Einfache, Traditionelle, Gute

Den Gewürzkräuterreichtum im Tomaten-Gurken-Salat da und dort die allgegenwärtigen Fleischattacken in Suppen, Blätter- und anderen Teigtaschen und die zentimeterdicken Wurstscheiben, die noch weit von hauchdünnen Blättern entfernt sind


Womit wir wieder bei Blättern angelangt wären
Aufblättern wollte ich dich
Taschkent, Tischkant, Tuschkint, Kaschtent
Aufgeblättert habe ich dich, aber natürlich längst nicht ausgelesen
Nur mal schnell verdichtet

Dich, Taschkent
Du Auto-Oase an der Seidenstraße
Komm gut durch die Pubertät
Auf Wiedersehen

 

Freitag, 13. September 2024

Usbekistan calling


Usbekistan (Land der Usbeken) "-stan" heißt Land oder Platz. Usbekistan ist ein säkularer islamischer Staat. 90 Prozent der Usbek*innen sind sunnitische Muslime. Der Islam ist gemäßigt. Der Kapitalismus stärker. Es gibt aber auch Sufis, die wollen die Kluft zwischen Gott und Mensch überwinden und sogenannte Feueranbeter, die sich zum Zoroastrismus bekennen. Aberglaube ist präsent. Magische Augen sollen gegen den bösen Blick schützen. Aus alten Bauwerken ragen vorsätzlich Pfähle, die Geister fernhalten sollen, weil Geister nur fertige Bauwerke in Besitz nehmen. 

Es gibt das neidische Auge, das zweifelnde Wort und den bösen Blick. All das ist bei der Kinderwiegenfertigung zu beachten. Die Kinderwiegen mit dem Kotloch, in die die Kinder reingewickelt werden, dass sie sich nicht bewegen können. Mittlerweile nicht mehr ganz unumstritten, aber immer noch ein Schlager und eine usbekische Besonderheit. Mein persönlicher Touristguide zeigt mir ein youtube-Video, in dem genau gezeigt wird, wie man die Kinder vor allen möglichen Geistern schützt und dann richtig in die Wiege reinschnallt.

Von Wüste und Steppe in der Stadt natürlich keine Spur. Ob hier in den Parks irgendwo Saxaulsträucher, Tamarisken, Sandried oder Sandakazien stehen, ich weiß es nicht. Mir fallen vor allem die Nussbäume auf und die Nüsse den parkenden Autos auf die Dächer. Es hagelt Nüsse. Gute Nüsse. Weiter so. Manty regnet es nicht. Die sind eher selten. Bis dato habe ich noch keine mit Fleisch gefüllten Teigtaschen zu mir genommen. Sehr wohl aber Plov in diversen Varianten, Lagman, Shurpa und Schaschlik. Fleisch ist da immer und überall auch im Borschtsch. Wenn du versuchst, kein Fleisch zu essen, isst du im Laufe des Tages noch immer Fleisch genug. Denn es tarnt sich geschickt: mal im Blätterteigmantel, mal in der vermeintlichen Gemüsesuppe, mal im süß ausschauenden Mürbteigpolsterzipfelchen.
 
Die großen Flüsse Amudarja, Syrdarja und Serafshan kenne ich nur aus dem Reiseführer. Da stehen auch Dinge über heftige Winde, Sandstürme, Trampelpfade, Wüstenpisten und Schlammfurten. Schöne Wörter aber für mich Stadttouristen nicht von Belang. Zum Grenzfluss im Süden - zum Amudarja, komm ich ebensowenig wie zum Grenzfluss im Norden, dem Syrdarja. Nicht einmal den Taschkenter-Fluss Tschirtschik bekomme ich zu Gesicht, nur den Verkehrsfluss beziehungsweise dessen Nichtfluss. Von der Versalzung des Grundwassers lese ich. Das Wasser mit dem ich in Kontakt komme ist stark gechlort. Im Hotel gibt es Pool, Jacuzzi, Dampfbad und Sauna. 

Der Aralsee ist weit weg von Taschkent und war mal der viertgrößte Binnensee der Erde. Der war 120mal so groß wie der Bodensee. Jetzt ist er ein kümmerliches Restchen seiner selbst. Die Zubringerflüsse versickert. Aus dem See wurde Wüste. Die Aralkum. Alles versalzt. Landwitschaft ist unmöglich, Leben auch. Die Schiffswracks die lange dekorativ für Fotos in verlandeten Gebieten zu bestaunen waren, sind längst abtransportiert, der wertvolle Schrott von Chinesen gekauft. 

Usbekistan ist ja reich an Bodenschätzen: Erdgas, Kupfer, Uranium und vor allem Gold. Das mit der Baumwolle war einmal. Freilich baut man noch immer an. Aber das war ein großer sowjetischer Masterplan, der nicht ganz aufging und viel zerstörte. Neulandgewinnung war die Devise. Intensiver Kanalbau und industrielle Baumwollegewinnung. Auf Gedeih und Verderb. Mit vollem Einsatz der Bevölkerung. Vor der Ernte wurden die Felder von Flugzeugen mit Herbiziden besprüht, um die Stäucher zu entlauben. Die Baumwollmonokultur führte zur Bodenüberlastung. 

Hier noch ein paar angelesene Baumwollfakten: Um eine Tonne Baumwolle zu ernten, muss ein Pflücker zweihunderttausendmal die gleiche Handbewegung machen. Pro Tag erntet ein Mensch etwa siezig bis achtzig Kilo. Aus hundert Kilo Rohbaumwolle gewinnt man im Durchschnitt vierzig Kilo Fasern, zehn Kilo Baumwollöl (für technische Zwecke aber auch für Nationalgerichte), dreißig Kilo Samenpressrückstände (Viehfutter) und zwanzig Kilo Kapselschalen. Dass Baumwolle für die Landwirtschaft große Bedeutung hatte, kann man noch in einer Metrostationgestaltung sehen und zwar in Paxtakor. 

Was man auch überall sehen kann ist der legendäre Vogel Semurg, das Symbol der usbekischen Wiedergeburt. Der Semurg ist ein Kranich, den kannte ich gar nich. Fettschwanzschafen bin ich persönlich auch nur in der Lektüre begegnet, finde sie aber des Namens wegen schon sehr aufregend. Zu Lamm hat man hier ja schnell eine enge Beziehung. Womit wir schon wieder beim Essen wären. Was ich gar nicht so häufig mache. Denn das überraschungsreiche Frühstück sowie eine warme, üblicherweise üppige Hauptspeise reichen aus, wenn man nicht 12 Stunden Baumwolle pflückt, sondern nur ein paar Stunden durch die Stadt marschiert, Fotos und Notizen macht.