Es ist den Herausgeber*innen und Organisator*innen von "100 Jahre Poetry Slam und mehr" Peter Clar, Martin Fritz und Yasmin Hafedh tatsächlich gelungen, 40 Menschen ins Boot zu holen, um Beiträge und Verschwiegenheit zu bitten und es ist ihnen überdies gelungen noch viele weitere Menschen zur Fete am Samstag, den 10. Mai 2025 ins Depot zu locken, um dieses Irrsinns-Buchprojekt zu feiern. Was soll ich sagen: Buch des Jahres und Party des Jahres und bestes Geschenk ever! Ihr seit großartig. Wir fühlen uns sehr geliebt und werden weiterhin zurücklieben! Das Buch ist im Sonderzahl Verlag erschienen und hier erhältlich.
Samstag, 17. Mai 2025
100 Jahre Poetry Slam
Donnerstag, 8. Mai 2025
Orangenbäume und Literaturblüten oder Jugend forscht
Aber was soll ich sagen. Ich hab mich eingelebt. Habe leben hier neu gelernt, um es mit Ingeborg Bachmann zu sagen. Denn das hab ich schon geschafft, ich war heute in der Casa di Goethe in der Via del Corso 16. Da ist nicht nur die Goethe-Dauerausstellung sondern aktuell eben auch die Sonderausstellung: "Ich existiere nur, wenn ich schreibe. Ingeborg Bachmann" Und wenn da jetzt wer denkt: Wer geht schon am Tag 2 der Papstwahl in eine Bachmannausstellung? Dann lasst euch sagen, mehr als man meinen möchte. Vor allem mehr als der Ausstellung gut tun. Gut, sie waren wohl nicht freiwillig dort, die Jugendlichen aus Deutschland, die von der Lehrerin ins Goethe-Haus geschleift wurden und dort dann eine Führung über sich ergehen lassen mussten, was immerhin ein Schüler, am Ende fast mit Applaus bedacht hätte, wenn er etwas Unterstützung seiner Mitschüler*innen gekriegt hätte, hat er aber nicht. Die Führerin moderierte ab und sprach: "Und damit möchte ich schließen. Hier findet aktuell auch noch eine Ausstellung einer Österreichischen Autorin statt, die in Rom gelebt hat und leider schon 47jährig tabletten- und alkoholsüchtig in Rom verstorben ist." Ob sie das mit den Tabletten und dem Alkohol sagte, um sie für die Schüler*innen interessant zu machen, ich weiß es nicht. Schöner wäre gewesen: Die sich mit Tabletten und Alkohol verbrannt hat. Das wäre immerhin mehrdeutig gewesen. Ein Satz zur Bedeutung von Bachmann wäre schon auch schön gewesen. Ich weiß, das war jetzt viel gewesen. Aber nach Goethe, was soll man da schon über eine österreichische Autorin des 20. Jahrhunderts sagen? Eben.
Ich schaute mir also erst mal an, welche Stationen Goethe auf seiner Italienreise machte. Auch Innsbruck ist brav verzeichnete, am Vortag war er da noch im Mittersill. Das Gebiet von Neapel bis zu den Zehen vom Stiefel hat er ausgespart, weil wohl mit dem Schiff nach Sizilien, wo er wiederum ordentlich rum kam. Auch das ikonische Tischbein-Bild in Liegepose schau ich mir genau an (freilich nur die Kopie) und muss feststellen: Proportional haut das überhaupt nicht hin. Da müsste Goethes rechtes Bein schon erheblich kürzer als sein linkes gewesen sein. Merkt man vor allem an all den Nachstellungen, die winkelten alle ein Bein ab. Aber gut, ich will nicht spitzfindig sein. Oh, doch, eigentlich schon. Egal. War ja nicht für Goethe da, so wie die Schüler*innengruppe, wobei die wohl auch nur wegen ihrer Lehrerin dort waren, aber immerhin dann auch noch blieben. Mit mir blieben, um in den Bachmann-Räumen zu verweilen. Ob sie das Goethe-Haus nicht vor Mittag verlassen durften, oder freiwillig hier blieben, wage ich nicht zu mutmaßen. Jedenfalls breiteten sie sich gehörig aus. Vor allem im Filmraum. Da war es schön dunkel und es gab Sitzplätze. Da ließ es sich bestens das Handy auspacken und all die empfohlenen Videos anschauen, die in den vergangenen Minuten während der Goethe-Führung versäumt wurden.
Auf der Leinwand lief Bachmann in den 1960er Jahren durch Rom, in den Reihen dröhnten aus mehreren Handys gleichzeitig Musik-, Gebets- und was-weiß-ich-für-Anleitungsvideos. Ich freu mich für die Jugendlichen, dass sie eine gute Zeit in der Ausstellung haben. "Die Jugendjahre sind, ohne dass ein Schriftsteller es anfangs weiß, sein wirkliches Kapital.", sagte die Bachmann in einem Interview 1971. Aber nicht nur der Filmraum zieht die Jugendlichen an, auch neben den Schaukästen der Kindheitsfotos breiten sie sich am Boden aus: sitzen, liegen neben und aufeinander. "Weißt du eigentlich noch, dass wir doch, trotz allem, sehr glücklich waren, selbst in den schlimmsten Stunden, wenn wir unsere schlimmsten Feinde waren?", schrieb die Bachmann am 27. Juni 1951 in einem Brief an Paul Celan. "Ich hau dir in die Fresse", sagt eine sehr schwarz gekleidete Jugendliche zu ihrer Freundin, die das wahrlich treffen würde, denn da ist viel Metall in ihrem Gesicht. "Halt's Maul!", entgegnet die Bedrohte und das scheint angemessen, denn dann liegen sie sich schon wieder in den Armen. "Wenn die Sprache eines Schriftstellers nicht standhält, hält auch, was er sagt, nicht stand.", sagte Ingeborg Bachmann in einem Interview 1955. Ich bin mir plötzlich gar nicht mehr so sicher, ob es sich bei den die Räume belagernden Jugendlichen um eine zwangsverpflichtete Schüler*innengruppe handelt oder ob es vielleicht doch eine Exkursion angehender Schriftsteller*innen aus Hildesheim oder Leipzig ist. Sagte nicht grad die, die sich unter einen Schaukasten mit Manusktipt-Seiten von Bachmanns berühmter Dankesrede anlässlich des Hörspielpreises der Kriegsblinden wälzte: "Mir tut der ganze Körper weh, so arg ist mir's, nicht in Deutschland zu sein." Oder hab ich mich verhört, was leicht sein kann, denn die Handyvideos sind ganz schön laut.Jetzt wälzt sie sich wieder in den Raum und ruft: "Ich bin niemands Frau. Ich bin noch nicht einmal. Ich will bestimmen, wer ich bin." "Halt's Maul!", quittiert eine Freundin und ich bin entzückt. Vielleicht ist es auch eine Theater-, oder Schauspielgruppe, die sich hier ausbreitet. Vielleicht bin es auch einfach ich, der sich die Situation hier schönredet. Vielleicht hat Ingeborg Bachmann einen rettenden Rat, da schneidet sich auch schon ein Satz durch die vorherrschende Geräuschkulisse: "Wo nichts mehr zu verbessern, nichts mehr neu zu sehen, zu denken, nichts mehr zu korrigieren ist, nichts mehr zu erfinden und zu entwerfen, ist die Welt tot."
Ich beginne augenblicklich zu applaudieren. Der, der vorher schon applaudieren wollte, klatscht mit. Die die vorher schon "Halt's Maul!" sagte, sagt "Halt's Maul!", von irgendwo her schallt mir "krass kranker Scheiß" entgegen. "Ich brech dein Gesicht" wird wohl in ein Gesicht gesagt und im Raum schwebt auch ein "Nein, Alter, ich schwör. Tischbein, Alter, nicht Hohlbein. Ich schwör um dein Leben." Es wird sich also über das Gesehene unterhalten und es geht auch ganz schön existenziell zu: "Wenn ich nicht bald Pizza und Cola dann sterb ich auf der Stelle, kein Scheiß." Mir wird warm ums Herz. Ich verlasse mit einem Katalog unter dem Arm die Austellung, die Jugend bleibt noch und ich kann es nur mit Bachmann sagen: "Im Grunde ist jeder allein mit seinen unübersetzbaren Gedanken und Gefühlen."
Ein Hoch dem Heiligen der Friedhofsarbeiter*innen
Mittwoch, 7. Mai 2025
Extra Omnes
Nicht mit mir. Kommt mir nicht mit „alle hinaus“, wenn ich schon mal da bin. Das Giubileo 2025 hätte mir schon gereicht, dass es auch noch ein Konklave geben muss, während ich in Rom weile, wäre nicht notwendig gewesen.
Aber gut, ich nehme mit, was geht. Wenn ich schon nicht in die Sixtinische Kapelle darf, weil sie dort grad Öfen installiert haben, um die Stimmzettel zu verbrennen, dann schau ich mir halt den Trubel an. Habe schon mehr Fernseh-Teams aus Ländern, die ich nicht mal zu benennen weiß, gesehen als bisher in meinem Leben. Niemand hat mehr große Kameratrümmer auf den Schultern, das sind jetzt eher Selfiestangen beziehungsweise Kameras, wie sie auch fottoaffine Touristen verwenden und dann halt so exoskelettmäßige Tragegerüste. Es wuselt auf der Via della Conciliazione. Bei meinem ersten Rom-Besuch 1990 nahm ich noch ein Fußbad im Brunnen am Petersplatz. 1998 bin ich mal aus dem Petersdom rausgeschmissen worden, weil wir es so lustig fanden, wie da Marmorfüße geküsst und Bazillen international verbreitet wurden. Gestern stellte ich mich brav an in der Vatikan-Post-Schlange, um meinen gottlosen Freund*innen zu verkünden, wo ich gerade weile.
Dass diese Konklave die größte der Geschichte wird, ist schon beeindruckend. Von den 252 Kardinälen der Weltkirche sind die 135, die unter 80 Jahre alt sind, stimmberechtigt. Ich zitiere aus dem offiziellen Wahlvorgangs-Procedere: „Bleibt ein Wahlgang erfolglos, schließt sich sofort der zweite an; erst danach werden die Stimmzettel – zusammen mit einer dunklen Rauchkartusche – verbrannt. Zur Wahl benötigt der neue Papst eine Zweidrittelmehrheit. Ist nach dem 33. Wahlgang noch keine Entscheidung gefallen, muss es so viele Stichwahlen zwischen den beiden stärksten Kandidaten geben, bis mit der Zweidrittelmehrheit ein neuer Papst gefunden ist.“
Ob ich das heute schon erleben darf? Vermutlich nicht. Morgen bin ich aber auch noch da. Morgen also mehr.
Montag, 14. April 2025
ORF Buch-Tipp
"Skurriles gepaart mit Sprachwitz prägen seine Romane. (...) Ernste Themen mit den Mitteln des Humors auf den Punkt zu bringen, das ist die große Kunst von Markus Köhle." Spricht Imogena Donderer im Beitrag und ich jubel natürlich. Möge es der Verbreitung von Hans Sagmeister dienlich sein.
Donnerstag, 27. März 2025
Welttag der Poesie in Rom
Klar hab ich nichts gegen Streiks. Fahr ich also nicht wie geplant am 19. März schon nach Rom. Sondern erst mal von Innsbruck wieder zurück nach Wien, um von dort aus dann über Nacht nach Rom zu gelangen und zwar erstmals in einer super-fancy Nightjet Singlekoje. In Summe also sehr viel Zugfahren für einen Streiktag. So komme ich statt am 19. halt erst am 20. an und zahle die Nacht doppelt, einmal im Zug, einmal das Hotel.
Klar könnte einen das ärgern. Bin aber zu guter Dinge, um mich zu ärgern. Bin in Flaminio untergebracht. Das ist nicht zentral, aber gut angebunden, was super ist, wenn die öffenltichen Verkehrsmittel fahren. Was sie auch meistens tun. Außer die Öffis streiken, das kommt vor. Dass sie das am 21. März machen, ist ihr gutes Recht.
Klar, den Welttag der Poesie zum Streiktag zu machen, das hat was. Das kann ich nur gut finden.
Klar akzeptiere ich diesen Streik und marschiere an meinem zweiten Tag in Rom circa sechs Stunden (am Vortag waren es nur vier).
Gut, dass die Brunnen nicht streikten.
Gut, dass in der Ungarischen Akademie (wo der Welttag der Poesie zelebriert wurde) nicht streikte. Gut, dass ich mich, als ich drankam, noch auf den Beinen halten konnte.
Gut, dass ich den Text noch einigermaßen abrufen konnte.
Gut, dass ich beim Interview mit der RAI noch ein paar Brocken Italienisch aus den Ärmeln zaubern konnte.
Gut, nein, besser, wenn das vorab zuerkannte Taxigeld für Feierabendbiere ausgegeben werden kann.
Tag drei verbrachte ich dann fast zur Gänze im MAXXI-Museum und schaute mir eine Foto-, eine Architektur-, eine Mode-, eine Installations-, und eine Firmengeschichte-Ausstellung an.
Von Guido Guidi über den Torre Verlasca bis zur Supercrema, also Nutella war da alles dabei und zum Drüberstreuen besuchte ich auch noch das dreitägige Literaturfestival im Auditorium und kam gerade recht, um Uwe Timm zu hören.
Zurück ging es dann wieder per Nightjet. Die neuen Kojen sind einen eigenen Eintrag wert, zumal sich das Bahnfahren dadurch wirklich ändert und es neue Beobachtungen festzuhalten gilt.
Freitag, 21. Februar 2025
Literaturzäpfchen statt Fettnäpfchen
Es hat ein bisschen gedauert. Doch jetzt ist der Beitrag meiner Rumänien-Tour online. Ich habe hier ja auch gebloggt, wie es war in Timișoara, Cluj-Napoca, Iași und București. Aber für das Österreichische Kulturforum in Bukarest ist dann nochmal ein eigener Beitrag entstanden, der hier zu lesen ist. Das mit dem Schengen-Veto immerhin hat sich mittlerweile geändert. Es wird nicht alles schlechter. Als Präsent für jene, die den Beitrag gelesen haben, gibt es hier jetzt den Workshop-Text zu lesen, der aufgrund des Buchtitels "Mein Fußpflegerin stellt Fragen ans Universum" entstanden ist. Viel Vergnügen!
Meine
Fußpflegerin stellt Fragen an das Universum
Universum
ist auch nicht g’schmackiger als Basilikum
Basilikum
braucht man wenigsten nicht waschen
Waschen
Sie sich endlich!
Endlich
ist das Universum nicht
Nicht
einmal das
Das
ist eine herbe Enttäuschung
Enttäuschungen
sind die Währung des Alltags
Alltagsenttäuschungen
auf Vorrat gibt es aber auch
Auch
das noch
Noch
ist das kein Text
Text
strickt sich nicht von selbst
Selbst
und Ich und Überich
Überich
als Konstruktion des Seins?
SeinS’
deppert oder was?
Was
soll dieser plötzliche Fall ins Dialektale?
Dialektal
ist mitunter dialektischer als man meint
Meint
es irgendwer gut mit mir?
Mir
kann man alles erzählen
Erzählen
kommt nicht von Zahlen
Zahlen
kommt von Geld
Geld
hab ich mal mehr mal weniger
Weniger
ist nur bei Gedichten mehr
Meer
ist nur im Universum nicht Wasser
Wasser
ist das Bier des Tages
Tage
vergehen wie Launen
Launen
sind auch mal hell, mal dunkel
Dunkel
ist es im Universum
Universum
tu nicht so groß
Groß
ist meine Neugierde auch
Auch
so kann man enden
Enden
tut das Universum, wenn ich will
Will
mich wer?
Wer
will mich ?
Mich
will niemand
Niemand
entkommt dem Universum
Universum
schleich dich endlich!
Endlich
aus?
Aus!
Freitag, 22. November 2024
Waldheimat Birkfeld
Dort geht es gehörig auf und ab, rein geländemäßig. Was das Wahlverhalten anbelangt muss gesagt werden, dass es dort nur steil bergab geht: 40 % Blau, 33 % Schwarz, 11 % Rot, 6 % Pink und 4 % Grün. Aber das sieht man der Gemeinde nicht an. Alle Menschen, mit denen ich zu tun hatte, waren fröhlich, freundlich, positiv.
Ich habe in einen vorbildlich geführten und bestens ausgestatteten Bibliothek einen Workshop abgehalten und in einer ebenfalls beispielhaften Schule, dem BORG mit Weitblick, Slam-Einblicke gegeben. Alles großartig, möchte man meinen. Und dann hab ich halt die Rückreise über Vorau und Rohrbach angetreten. Das war nicht ganz easy aber sehr interessant.Nächster Halt: Vornholz Waldseppl. Das sagt eigentlich alles. Wunderbare Landschaft, liebliche Hügel, ein protziges Stift und wieder mal eine neue Seite von Österreich kennengelernt. Das ist das Schöne an Schulworkshops.
Samstag, 16. November 2024
Kelenföld hat mir gerade noch gefehlt
Erst mal verzweifeln und nicht wissen was tun. Also mal was zum Essen suchen. Das braucht es ja ohnehin. Die Möglichkeiten waren beschränkt. Es sollte ein Chinarestaurant direkt neben dem Bahnhof werden. Ich würgte Chicken with bamboo, mushrooms und rice in mich hinein und dachte bloß an den Nährwert und die daraus zu ziehende Energie, für die Kraftakte, die heute in irgendeiner Form auf jeden Fall noch zu folgen hatten. Der volle Magen hat mich gelassen gemacht. Was also tun?
Das Hotel heißt Sopianae. So hieß Pécs, als die Stadt noch Zentrum der Provinz Panonien war. In Pécs wurde immerhin bereits 1367 die erste Uni Ungarns gegründet und die Moschee "Gazi Khassin" am Hauptplatz ist zur christilichen Kirche umgebaut worden. Das finde ich schon mal ziemlich einzigartig. Außerdem war Pécs auch das Zentrum der Donauschwaben, die sich unter den Habsburgern hier angesiedelt haben. Also historischer Boden und ich sitze im Hotelzimmer!
Immerhin sind nicht nur Graz und Cluj-Napoca Partnerstädte von Pécs, sondern auch Osijek. Das ist doch eine schöne Verbindung. Das WLAN ist stabil. Ich habe das Publikum vor mir und kann es sogar hören und spüren und es sollte mir schließlich eh eineinviertel Stunden gelauscht werden - aber nicht nur. Es gab auch Wunschkonzert und die Wünsche wurden erfüllt.Bleibt zu hoffen, dass die Rückfahrt besser klappt und ich nicht noch einen Tag in Ungarn hängen bleibe.
Donnerstag, 31. Oktober 2024
Das große Ruckeln und Größenwahn
Reisen mit der Bahn ist in Rumänien momentan noch ein großes Ruckeln, Zuckeln und gemächliches Durch-die-Landschaft-Ziehen. Die Städte sind vorbildlich herausgeputzt: da strahlen die frisch renovierten Fassaden im Herbstsonnenlicht; da protzen die restaurierten Klassizismusprunkbauten; da ist man ganz Kulturhauptstadt (Timișoara 2023) und Jugendhauptstadt (Cluj-Napoca 2015) und geizt nicht mit Informationen; da ist an allen Ecken über prominente Menschen der Region oder Besonderheiten derselben zu lesen.
Ich weiß jetzt, dass der Bau eines gigantomanischen, nein, megalomanischen, nein, ganz einfach vollkommen durchgeknallten, irre-großen Palasts ausreicht, ein Land in den Ruin zu treiben. Ja, angesichts dieses Bauwerks versagen kurzzeitig die Sprachwerkzeuge. Ich bin richtiggehend empört über dieses Monsterbauwerk.
Ich weiß jetzt sowohl, dass Literaturnobelpreisträgerin Herta Müller in Timișoara studierte, als auch, dass Tarzan Johnny Weissmüller dort geboren wurde und dass Timișoara die erste Stadt mit elektrischer Straßenbeleuchtung war. Ich weiß aber auch, dass der Bahnhof nach wie vor eine Baustelle ist, weil der öffentliche Bahn-Verkehr hier offenbar nicht wirklich wichtig ist.
Der Individualverkehr ist alles. Das Auto ist Statussymbol. Die fette Karre steht für rasches Vorwärtskommen in allen Belangen. In București lässt man auch gerne die Motorradmotoren aufheulen, wenn die Siegesstraße entlang gebrettert wird.
Ich muss lachen und weinen gleichzeitig, als ich sehe, dass mit dem Slogan "Sustainability is the new Stability" sogar auf dem Literaturfestival für eine Automarke geworben wird. Gerne würde ich ein Fettnäpfchen über das präsentierte Automobil schütten.
Ach, so viele Fettnäpfchen, die bereitstehen und darauf warten, betreten zu werden, aber wenn mal eines braucht, zum Verschütten, dann ist keines da.