Mittwoch, 13. Januar 2010

... noch die ins Schweigen hinabsteigen

Manès Sperber: Wien eine Träne im Ozean 7 (Seite 359-453)

Dojno trifft auf Albert Gräfe den „Schwarzen Engel“ auf den er gewartet hatte. Gräfe ist übel mitgespielt worden. „Gegen das Unrecht des Feindes versucht man zu kämpfen, aber am Unrecht, das einem die Eigenen antun, geht man schändlich zugrunde.“ (S. 364) Dojno ist hin und her gerissen und erleidet bei einer Rede mit dem Titel „Das verlorene Nimandsland“ einen Schwächeanfall. Er wusste, dass sich seine Stimme künftig solchem Text verweigern würde. Dojno möchte die Flucht nach vorne ergreifen und sich als „Frontschwein“ nach Spanien abkommandieren lassen.
Karel verhindert das und stellt ihn in Paris zur Rede. Karel klärt auf, wie Sönnecke und Voss zur Strecke gebracht wurden und was von den Verschwörungstheorien von Gräfe zu halten ist.
Von der Heimat in die Emigration getrieben, immer auf der Flucht und dann, im vermeintlich heilen Land erst recht wieder angeklagt und das Ziel ist, dass man geschändet als Konterrevolutionär sterben soll. Ein Jammer und ein Teufelskreis. In damaliger Diktion: Dialektisch. Zu lange zum Zitieren aber traurig treffend: „In unserem Land ganz allein zu sein, das war schon zu Dostojewskis Zeiten sehr gefährlich. Um es kurz zu machen:“ (S. 393) und dann hebt der Verfahrensleiter an und entwickelt einen äußerst dialektischen Wahrheitsbegriff.

Sönnecke aber bleibt standhaft, will beim Prozess keine im zugeteilte Rolle spielen, sondern sagen, was er zu sagen hat. Er wird schließlich schon vor dem Prozess hinterrücks erschossen.

Auch Vosso lässt sich nicht einkaufen von der Macht, lässt alles über sich ergehen und schließt in Frieden ab mit seinem Leben. „Sie haben recht, ich verzweifle nicht, weil ich nicht hoffe.“ (S. 427)

Karel erwartet sich von Dojno: „du mußt Gefrierfleisch werden. Eiskasten oder Selbstmord, das ist die Alternative.“ (S. 429) Wünscht aber, dass sein Handeln verstanden wird, er hatte es ja auch nicht leicht mit seinem angesägten Knie und seiner Frau, die zur Geliebten seines Peinigers Slavko wurde und sich schließlich ertränkte. „Du hast begriffen, es gibt unter uns, den Toten und den Überlebenden, keine Unschuldigen.“ (S. 435)

Dojno wird das alles zu viel. Er verfällt in Schweigen. Erst Stetten kann ihn wiederbeleben und nimmt ihn mit nach Wien. „Der gute Faber wußte soviel über die Welt, aber er ahnte nicht einmal, daß er einen Sohn hatte.“ (S. 442) Von Hanusia, die aber lebt jetzt in Canada. Und Josmar lebt noch immer. Auch er hat es schwer verwundet nach Paris geschafft und wird schon wieder kritisiert. Worauf Relly der Kragen platzt: „Gesegnet seien die Männer, die vom Wetter sprechen oder von ihren Geschäften oder von Weibern oder vom Kartenspiel.“ (S. 448)

Redestrategie des Tages: „Er improvisierte wie immer, dachte laut im Gespräch mit einem Gegner, dem er soviel Intelligenz zubilligte, wie er selber hatte.“ (S. 374)

Wahrheit über die Dummheit und die Vergangenheit: „Es ist die spezifische Dummheit der Mächtigen, daß sie glauben, sie könnten die Vergangenheit beliebig ändern.“ (S. 423)

Über Banken, Kärnten u.a.: „Der Betrug hat aufgehört, nur ein Mittel zu sein, er ist zur Einrichtung geworden, der Mißbrauch der Macht hat aufgehört, ein Umweg zu sein, denn die Macht ist einigen wenigen zum ausschließlichen Ziel geworden.“ (S. 444)

Vertrautes Gefühl: „Die Geduld ist dahin, sobald man dessen bewußt wird, daß man sie übt.“ (S. 446)

Vertrautes Gefühl 2: „Nur die vergessen wollen, suchen den Trost.“ (S. 451)

Zu klärende Fremdwörter:
Vaudevilles: U.a. Genre des US-amerikanischen Unterhaltungstheaters
(und immer wieder) Schibboleth: (ohne die ganze Geschichte dazu) eine sprachliche Besonderheit, durch die sich ein Sprecher einer sozialen Gruppe oder Region zuordnen lässt. Noch was: Dschugaschwili war im Übrigen Stalins Geburtsname