Nicht der Frühling ist das, was der Winter momentan macht. Das spricht an sich eh für ihn, den ollen Winter, nur nervt er halt. Füße kalt, Laune im Keller, Nase voll Rotz.
Wer braucht das? Genau. Niemand.
Was brauchen wir? Richtig. Gute Bücher.
Zum Beispiel: Nicht der Süden von Kirsten Fuchs und Volker Strübing (ja, alte, bekannte Hasen, Ostern on the way;-).
Die Fakten müssen vorausgeschickt werden. Fuchs und Strübing reisten sieben Wochen lang per Schiff und Flugzeug in den hohen Norden, um eine vierteilige TV-Doku-Serie anderer Art für 3Sat zu drehen. Und jetzt also das Buch zur Serie. Ein Buch mit DVD. Auf der DVD: Folge 1 der Serie sowie viele, viele schöne (Neid-will-auch-in-Echt-sehen)Bilder und gekonnt vorgelesene Tagebucheinträge der AutorInnen. Schon die DVD allein ist den Einkaufspreis wert.
Nun aber zum Buch: Kirsten Fuchs wählt ein Zukunftszenario (2063), um ihre Enkelin auf die Reise zu schicken und Volker Strübing interviewt sich selbst. (Noch etwas vorweg: Fuchs und Strübing sollten EhrenbürgerInnen in Island, auf den Faröern und in Spitzbergen werden. Ganz große Pionierarbeit!)
Fuchs Text sprüht vor Phantasie und erfreut mit sprachlichen Erfindungen (in 50 Jahren verändert sich die Sprache und der Bezugsrahmen nun mal). „Palästinapalästina“ ist eine Beruhigungsformel, aus „wie Sand am Meer“ wird „wie Müll am Meer“ und „fäkal“ ist das „geil“ der 2060er Jahre. 98 % der Bevölkerung sind tablettensüchtig, der große „Süsselmann“ hat alles in der Hand im Norden und die Erzählerin ist, gemeinsam mit einer originellen Mannschaft, auf der Suche nach dem letzten Eisbären (um ihn dann zu zeichnen), will aber eigentlich nur ihren Großvater treffen.
Zur Mannschaft: Utz ist der mit Sozialtourette („angeobergrindeter Votzen-Nixer“), Kai das Kamerakind, das zu rauchen aufhören wird, wenn es 8 ist, Floh der Hund der gut leckt, die Zwillinge sind die, die niemand auseinander kennt, Nils ist der, der nichts außer Hunger fühlt, Hartmut der Mann der zerfasterten Rede (quasi Hartmut Fasel), Elian der Assistentassistent und nicht zu vergessen ist auch Range, der Halbelf, der sich in den Kopf der Erzählerin reindenkt. Eine Promenadenmischung, die schon mal Unterhaltung garantiert. Aber auch die Umgebung hat was zu bieten: Rauschfischrauchende Hafenarbeiter mit Knautschgesichtern, Schafattrappen und zweibeinige Infotafeln mit schwer einszwei an/auf der Waffel. Was für ein Setting und was für eine Heldin!
„Ich schlief viel. Die Essenszeiten waren so regelmäßig, dass mein Körper eine Fressuhr wurde.“ (S. 81) Man muss die Doku gar nicht gesehen haben, um an diesem Text Spaß zu haben, erkennt man aber die realen Vorbilder für die Figuren in „Der letzte Eisbär“, dann ist das ein zusätzlicher Vergnügungsfaktor.
Volker Strübing erfindet sich in „Dosenrosenkohl“ eine/n fiktive/n GesprächspartnerIn und erzählt von den Leiden eines Autors mit Hang zur Depression, der plötzlich auch noch Regisseur und Darsteller sein soll, aber eigentlich nur verliebt sein will. Nebenbei werden amüsant und erhellend (auch anschauliche Depressionsbeschreibungen können erhellend sein) Vorfreuden, Stress- und Angstsituationen, generelle Zweifel und Probleme mit InterviewpartnerInnen erörtert. Der Interviewte gibt sich (was die Weltrettung betrifft) zynisch, fatalistisch und gelegentlich selbstmitleidig, zwinkert aber zwischendurch immer wieder gehörig mit beiden Augen. Dieses Interview ist informativ, berührend und unterhaltsam und das ist ziemlich viel.
„Nicht der Süden“ macht nicht nur Lust auf anderes Fernsehen, sondern auch aufs Lesen und „Nicht der Süden“ macht auch Lust auf den Norden.
In Summe ist „Nicht der Süden“ weit mehr als ein Buch zur Serie, in Summe ist „Nicht der Süden“ nicht zu toppen.
(Kirsten Fuchs & Volker Strübing, Voland & Quist 2009)