Dienstag, 26. Januar 2010

Die Djura-Brigade

Manès Sperber: Wien eine Träne im Ozean 11 (Seite 755-873)
Jugoslawien: die prekäre Einheit zerbrochen, die Faschisten in den Sattel gehoben. Es bestehen aber geheime Gruppen (seit 1938):

„Man nannte sie Sljemiten, nach dem Berge, auf dem ihre Gründungskonferenz stattgefunden hatte, oder Aprilisten – in der Nacht vom 17. auf den 18. April 1937 war Vasso Militsch in Moskau umgebracht worden. Sie bekannten sich zu dem Toten und verurteilten im Namen der Revolution seine russischen Mörder und die von diesen eingesetzte Führung der kommunistischen Partei.“ (S. 761)

Mara hat eine kampfbereite Truppe um sich geschart und verteidigt ihre Insel die Grüne Bucht. Ein Großangriff steht bevor. Man ist sich einig. Djura soll flüchten. Der Dichter Djura muss weiter leben. Die Flucht gelingt, Djura landet bei Ljuba (mit dem Tod ihres Mannes Andrej hat alles begonnen), jetzt ist sie die Verbindung von der Insel zum Festland. Mit Ljuba wollte Djura einen Neubeginn versuchen, doch er wird in Zagreb verhaftet und weil er seiner Überzeugung treu bleibt und die Begnadigung via Kurier verspätet eintrifft schließlich gehängt.

Donjo kommt zu spät auf die Insel. „War's ein Fehler gewesen, aus Frankreich wegzugehen? Gewiß! Ein Fehler mehr.“ (S. 818). Er landet dann auch bei Ljuba, die ihm Djuras Aufzeichnungen gibt. Der Tod Djuras macht Dojno wieder feurig. Er will die Briefe eines Gehenkten heraus geben. „Es muß dem letzten Opportunisten beigebracht werden, daß es gefährlich ist, sich auf die Seite der Mächtigen zu stellen.“ (S. 832) Die Djura-Brigade (so nennen sich die Überlebenden des Insel-Kampfes um die Grüne Bucht) wird immer größer. Man kämpft nicht für die Größe Jugoslawiens auch nicht für den Untergang des deutschen Volkes, sondern für alle, für die Freiheit aller.
Tschetniki, Ustaschi, Djuraten: jeder gegen jeden, man reibt sich gegenseitig auf. Für die Dörfer sind die Partisanenkämpfe ein Unglück, denn die jeweils neuen Besatzer nehmen immer fürchterliche Rache an den Einwohnern. „Seit langem war die Antwort auf die Frage, wie es ginge: 'Teski Zeiti!' - schwere Zeiten. Das zweite Wort hatte man dem Deutschen entlehnt.“ (S. 769)

Mehr und weniger bekannte Weisheiten: „Eine Krähe hackt der anderen kein Auge aus. Und was der Reiche zuviel getrunken hat, das erbrechen die Armen.“ (S. 772)
Schönheitsideal?: „Kaligraphische Frauen mit rhetorischen Schenkeln.“ (S. 782)
Vertrautes Übel: „Von allen Dummköpfen waren ihm die gebildeten am unerträglichsten.“ (S. 841)
Und die Apoplexie ist nichts anderes als ein Schlaganfall.

Jeannot unterwegs

Manès Sperber: Wien eine Träne im Ozean 10 (Seite 649-752)

Dojno schreibt für seine Kameraden Briefe an deren Frauen und Angehörige. Die Truppe ist ein bunter Haufen. Leo, Bernard,
Berthier, Pierrot, Litwak, Faber. „Litwak war der ärmste von ihnen allen. Er war der einzige, der nie Pakete, nie Geld bekam, nur ganz selten einen Brief. Er erwartete keinen. Er erwartete nichts. Er war zu tief gestürzt, tiefer als der Abgrund.“ (S. 656) Litwak, ein Fall für Dojno. Litwak aber hat was gegen Intellektuelle: „Etwas so Blödes wie einen Intellektuellen kann Gott nur in seinem Zorn erschaffen haben“ (S. 659) Außer Berthier fallen alle Kameraden.

Dr. Meunier will Donjo zurück nach Paris bringen, Dojno verweigert die Hilfe auch von Karel lässt er sich nicht helfen, das Angebot Heinrich Liebmanns allerdings kommt ihm schließlich gelegen. Seine Frau erinnert ihn an Gaby. „Sie sieht Gaby ähnlich, dachte Dojno, allen Frauen sieht sie ähnlich, derentwegen ein Jüngling feierlich dumm und dann witzig, kühn und dann melancholisch wird.“ (S. 696) Doch selbst bei den Liebmanns findet Dojno keine Ruhe, er will sich in den Tod flüchten: „Es mußte ein Unfall sein, kein Selbstmord.“ (S. 704) Und wer rettet ihn? Jeannot, ein Kind, acht, neun Jahre alt.

Drittes Buch: Die verlorene Bucht; Erster Teil: Unterwegs (Seite 711-752)
Wir schreiben das Jahr 1941 und Dojno hat einen neuen Lebensinhalt: Jeannot. Er lebt in einem kleinen Dorf und mochte seine Wirtin:

„Sie war das Volk – mehr als irgend jemand, dem er bisher begegnet war (…) Sie beklagte jedes Unglück, das irgendwem zustieß, aber ihre Augen wurden wieder jung, sobald sie von kleinen oder großen Unglücksfällen sprechen durfte.“ (S. 714)
Selbst Lagrange gelingt es nicht, Dojnos neue, nein, erstmalige Heimat und Idylle zu zerstören. „Ich lebe jetzt für Jeannot. Das ist eine klare Antwort. Stürbe ich, so wäre es nicht für ihn. Er würde noch einmal verwaisen.“ (S. 724) Lagrange resümiert: „Der ist kein Politiker mehr, kein Genosse. Ein tödlich verwundeter Revolutionär, der bevor er hinüberdämmert, böse Träume hat. Den letzten bösen Traum.“ (S. 726)

Und dann genügt eine Nachricht und alles ist wieder anders. Albert Gräfe (der, dem das symbolträchtige Unrecht widerfahren war) wurde umgebracht und Mara wünschte sich, dass Dojno nach Dalmatien kommen möge, Prevedini will ihn dort hin bringen. Unterwegs also: von Frankreich über Italien nach Dalmatien. Dojnos Hoffnungsfröhlichkeit über das Gelingen dieses Unterfanges spricht für sich, er hat keine Lust auf eine Unterhaltung mit Skarbek und sagt: „Es ist einigermaßen verfehlt, auf dem Totenbett neue Freundschaften zu knüpfen“ (S. 741) Und nochmals Tod: „In knapp zehn Jahren hatten sich die Landkarten Europas für Dojno verändert. Sie zeigten ihm die Topographien des Todes.“ (S. 752)

Weisheit des Tages: Das Gedächtnis ist dem Erinnernden eine Quelle der Qual, den anderen aber unerwünscht (S. 729)
Roman Skarbek warnt: „Auch ich habe Poeten zu ernst genommen, das büßt man bis ans Ende seines Lebens.“ (S. 741)
Verzweifelte Lebenserkenntnis: „Alles begriffen und nichts angewandt!“ (S. 744)