Auch Thomas Hettche hat einen Wenderoman geschrieben. Nox ist 1995 bei Suhrkamp und 2002 in leicht abgeänderter Version bei DuMont erschienen (als Taschenbuch dann 2004 bei List).
Der Held und Ich-Erzähler in Nox ist Schriftsteller und es wird ihm auf der ersten Seite die Kehle durchgeschnitten. Die Frau die das tat, bat ihn am Vorabend des Mauerfalls, nach einer Lesung, ihr weh zu tun. Was er nicht fertig brachte
„Und für einen Moment sah ich sie so, wie niemand sie kannte, ihr geheimes Gesicht und die Lust darin (…) Jetzt erzähl mir, du habest mich so geseheh. Wenn du noch erzählen kannst.“ (S. 20)
Er kann. Er nimmt auch alles andere an diesem Tag und der folgenden Nacht in allen Details wahr. Es geht um einschneidende Erlebnisse und Ereignisse, historisch und persönlich. Schmerz und Lust schaukeln sich gegenseitig hoch. Während Günter Schabowski ausplaudert, dass sämtliche DDR-BRD Grenzübergangsstellen unverzüglich frei seien, verwest das Opfer vor sich hin und die namenlose Mörderin feiert und fickt sich durch Berlin.
Verfolgt wird sie von einem noch vor der Grenzöffnung in den Westen geflüchteten Hund (ja, Hund). Gefickt wird sie unter anderem vom Lustsklaven David und das große Showdown findet dann im Anatomischen Theater im Osten statt. Wer da aller dabei ist und was da ab geht, sei an an dieser Stelle nicht verraten. Im Schlusskapitel jedenfalls relativiert der Hund im Gespräch mit dem Autor die Geschichte. Mir ist der Text motivisch etwas zu überfrachtet aber sprachlich spannend und inhaltlich fesselnd ist Nox schon. Ein anderer Wenderoman ist es auch. Gut anders.
Ach ja: Die Mauer war im Übrigen auch so ein Einschnitt, eine Narbe, die in jener Nacht eben aufbrach. „Nichts heilt, dachte sie. Nicht wirklich. Der Schmerz bleibt, und keine Wunde schließt sich. Und dann?“ (S. 101)