Freitag, 20. September 2024

Hauptpostgorilla

 „Schau ich aus wie eine Brieftaube?“, fragt mich die Frau am Info-Schalter und belegt mich mit einem beschämenden „Tz-tz-tz“. Am Abend wird sie ihren Freundinnen erzählen, dass heute wieder mal so ein Steinzeittourist bei ihr war und eine Ansichtskarte verschicken wollte.

Jetzt war ich so froh, mit dürftigem Kartenmaterial die wirklich alles andere als zentrale Hauptpost gefunden zu haben und dann das. In der ganzen Stadt sind keine Ansichtskarten zu finden, das hätte mir zu denken geben sollen. Natürlich gibt es in der Hauptpost auch keine. Das Postgut Ansichtskarte ist in Kasachstan ausgestorben. Ob es digitale Grußkarten gibt? Sicher. Ich komme mir schrecklich alt vor und habe urplötzlich Lust auf einen Schluck Buerlecithin oder auch Klosterfrau Melissengeist und bin mir gleichzeitig nicht sichre, ob es diese Kräutergeistfitmacher überhaupt noch gibt. Der Energydrink hierzulande jedenfalls heißt Gorilla. Red Bull ist nicht wirklich präsent. Auch kein Schaden.

Ich bin ein Silberrücken auf Reisen in Smart-Citys in Zertralasien. Gebt mir einen Kompass, ein Fernrohr und gerne auch  einen Humpen Bier und ich finde mich zurecht und bin glücklich.  

 

Schwarzfahren in Astana

 „Schau ich aus wie ein Opferstock?“, fragt mich der Busfahrer und winkt mich angewidert rein. Am Abend wird er seinen Freunden davon erzählen, dass heute wieder mal so ein Steinzeittourist seinen Bus betrat und mit Münzen bezahlen wollte. 

Legitimiertes Schwarzfahren - so starte ich nach Astana. Mit zwei aufgeschalgenen Karten am Schoß versuchte ich mich zu orientieren. 

Ich weiß nur, wo die Endstation ist (weit weg von meinem Ziel), die Route des Busses kenne ich nicht. Die haltestellenstopps kann ich nicht lesen. Spannend. Erst kommen lange nur Baustellen und Werbe-Baustellenverkleidungen, die auf die Nomad Games hinweisen - kilometerlang. 

Dann Beflaggung: die kasachische und die deutsche Flagge - hunderte. Hallo, ich bin Österreicher!

Schulz ist da. Ich sollte ihn später im Fersehen inmitten von grimmig blickenden Anzugmännern herauserkennen. Fröhlich schaut er auch nicht aus. Es geht vermutlich um milliardenschwere Deals. Vielleicht erzählt Schulz vom Flughafen Berlin, vom Bahnhof Stuttgart oder von der Deutschen Bahn an sich und stellt Verbindungen zum schleppenden Schwebebahnbau her. Ja, verkehrspolitisch ginge da schon noch was. Da können die Hochhäuser der internationalen Stararchitekten noch so glänzen und funkeln im Sonnenlicht. Wer in den 1990er Jahren groß strategisch eine Hauptstadt aus dem Steppenboen stampft, hätte schon ein Verkehrskonzept mitdenken können, das mehr zu bieten hat als mehrspurige Straßen für Autos. Busspuren sind selten. Straßenbahn und U-Bahn gibt es nicht und das einstige Prestigeprojekt Hochschwebebahn hätte zwar gut ins futuristische Stadtkonzept gepasst, war aber dann doch nicht so wichtig, weil öffentliches Verkehrsmittel und wer fährt hier schon freiwillig öffentlich, wenn er*sie Autofahren kann. Ja, die Winter sind lang hier. Aber ob Staustehen im eigenen Auto angenehmer ist, als sich verkehrsmindernd zu verhalten? Ich frage nur. 

Das beste Verkehrskonzept der Stadt sind die doch überraschend vielen schlafenden Polizisten in Nebenstraßen. Da brettern die getunten, verspoilerten Boliden nämlich nicht, nur die die SUVs drüber. Das Verkehrsbild ist hier nämlich - von Usbekistan kommend - extrem bunt und kunterbunt. Das heißt: alles Marken, Farben, Jahrgänge vom Luxus-E-SUV über Hummer, Mustang, Raptor-Proll-Wägen, Audi-, Medcedes-, BMW-Klassikern, Lada Oldtimern und LKWs aus einer anderen Welt und Zeit - alles, was noch irgendwie fährt, fährt hier beziehungsweise steht. Hyundais in der Überzahl, nur Teslas habe ich noch keine gesehen. Auch kein Schaden. 

Alles stinkt zum Himmel, der zwar erfreulich blau ist, dennoch ist es kalt. Der Wind geht einem an die Knochen. Ich gehe mit ihm aber nicht nur. Eine harte Stadt. Hart bin ich auch. Die Straßen entlanggehend wünsche ich mir mitunter eine Maske, vor allem wenn sich Kanalgeruchsschwaden in den Abgascocktail mischen. Mmhhmmhh! 

Freilich könnte ich mir ein Yandex rufen, wie es alle machen. Mach ich aber nicht. Weil ich stur und politisch bin. 

Ja, ich passe mich nicht an, verrate nicht meine Ideale, gehe mit dem Kopf (aber vor allem mit Füßen und Beinen) durch die Wind- und Verkehrswand. 

Nimm das - Astana!