Montag, 24. November 2025

Bisi Belle Hulli Anna

and 8 hours for books & coffee
Sonntag in Delhi. Die gestrige achtstündige Tour durch die Stadt muss ich erst verdauen und verschriftlichen. Heute ging ich es etwas gemütlicher an und habe mich der deutschen Kollegin und dem ukrainischen Kollegen angeschlossen. Wir uberten in die Stadt und hatten ein klares Ziel: Kunsthandwerksmarkt. Ich bin ja bereit, alles mitzumachen und freue mich, wenn wer das Ganze in die Hand nimmt und ich einfach zwischendurch für Unterhaltung sorge. Zwar ist das mit dem österreichischen Schmäh auf englisch nicht immer ganz so einfach, aber einer von dreien funktioniert dann doch. Keine ganz schlechte Trefferquote. Jedenfalls war das ein Mark, bei dem Eintritt zu bezahlen war, was ja schon einiges aussagt. Natürlich für "Foreigners" wieder das zehnfache, so wie bei den Sehenswürdigkeiten. Ist schon okay. Die reichen Einheimischen allerdings könnten durchaus auch ordentlich zur Kassa geboten werden. Aber da ist das österreichische Steuersystem ja nicht anders. Jedenfalls war mit dem Eintritt besiegelt, dass sich nur Touris durch die Standreihen schoben. Dass wir einkaufswillig waren, war klar. Waren wir doch bei den Allerersten und kamen noch in den Genuss des Angebots: "First customer today - special price, just for you". 

Ein Kaschmirschal für mich, ein Pashminaschal für Doris, zwei Hemden und ein Notizbuch für mich, das ich dann auch gleich eröffnete, weil das erste ist schon voll und will demnächst ausgewertet werden. Ob der Pashminaschal wirklich aus Pashmina ist, was weiß denn ich. Will ich der Changthangi-Ziege ans Unterfell - an sich nicht. Es fühlte sich wunerbar fein und leicht an - also was soll's. Vertrauen ist gut, Kontrolle kann ich nicht besser. Der Kaschmirschal hat Kuschlefaktor 5000 und ist voll in meinen Farben, auch da vertrau ich voll, dass das Edelhaar ist, zwar fiel da und dort das Wort "sheep", aber nach Schafwolle wie ich sie kenne, fühlte es sich nicht an, also was kratzt's mich? Er nannte einen Preis, ich reagierte empört, er fragte, was ich den bieten wollte, ich sagte die Hälfte, er nahm den Taschenrechner zur Hand und tippte 2500. Ich wog kurz ab und willigte dann ein. Beide happy und dem Verhandlungsritual genüge getan. Natürlich habe ich noch immer zuviel bezahlt, wahrscheinlich wäre 1500 auch möglich gewesen. Aber 2500 war mir der Pashminaschal auch wert, ist ja für Doris und wenn sie das jetzt liest, freut sie sich vielleicht schon. Der Changthangi-Ziege ist mit dem bezahlten Preis wahrscheinlich nicht mehr geholfen als mit einem höheren oder niedrigeren - aber erneut: das juckt mich grad nicht. Mich juckt's langsam eher in der Nase, in den Augen und in der Gurgl. Weil der Delhi-Smog hat es schon in sich. Ich werde sogar den Ausflug nach Agra zum Taj Mahal streichen, weil der Spanische Kollege, der gestern dort war, berichtete, dass der Tempel kaum zu sehen gewesen wäre und die magere visuelle Ausbeuteas die insgesamt acht Stunden Fahrt überhaupt nicht gerechtfertigt hätte. No Taj Mahal für mich, hab ja schon andere Mogul-Tempelanlagen gesehen, aber dazu später.

Does literature respond to the anthropocentric
view and help develop a post-humanist conception
that emphasizes the intrinsic value and inter-
connectedness of all life forms?
    
Nach dem Shoppingerlebnis tauchten wir in die Unterwelt ein. Meine erste Metro-Fahrt in Delhi war angenehmer als erwartet. Beim Eintritt gibt es zwar Sicherheitskontrollen wie am Flughafen aber die Bediensteten sind weniger streng. Zwar piepst es ordentlich bei mir, mein Schweizermesser aber wird mir nicht genommen. Dann geht es sehr tief nach unten und es ist wohl dem Sonntag zu verdanken, dass es nicht ganz so ein Bad in der Menge wurde, wie befürchtet. Mir scheint, dass die Metro hier eher ein Mittelklassefortbewegungsmittel ist. Die Tuctucs sind sicher billiger. Die U-Bahn ist nicht für alle. Die U-Bahn ist ein Vorzeigeprojekt, sie strahlt und prahlt mit Burger King und Barista. Sie spückt uns schließlich am Connaught Place aus: das Auge Des Säulengangsturms in Britischer Architektur der 1930er Jahre. Die Briten haben die Hauptstadt ja 1911 von Calcutta nach Neu Delhi verlegt, weil sich die Aufstände gegen die Briten in Calcutta dort mehrten. Drum - zack - Bedeutungsentzug. 

In den Säulengängen die sich zwiebelschalenmäßig um den Platz bilden, reiht sich Geschäft an Geschäft, Lokal an Lokal und wir landen schließlich in einem, das mir nicht nur das erste Mango Lassi der Reise bescheren wird, sondern auch ein Gerichte-Gedicht. Ich las Bisi Belle Hulli Anna und war schon zufrieden. Ich wusste, dass ich dieses Lautgedicht essen musste. Bisi Belle Hulli Anna - was soll ein Spoken-Word-Freund dazu noch sagen außer Mahlzeit! Bisi Belle Hulli Anna bestand aus dem Gemüsesüppchen im Schälchen, das als Dip für die Dosas und Reisbällchen oder eben auch einfach als Süppchen vorab dient - ich löffelte. Dann war da noch ein Papadam, das aber Appalam genannt wurde, jedenfalls war es ein frittiertes Fladenbrot aus Bohnenmehl, dazu gab es die üblichen drei Dips mit Chili, Minze und Kokos und dann war da auch noch ein Linseneintöpflein, das es gewüzmäßig in sich hatte. Ich kann Bisi Belle Hulli Anna nur rundum loben. Ein Gerichte-Gedicht der Sonderklasse.