Freitag, 27. Mai 2016

Eh schön, aber

Crowd-Tag-5 (von Tromsø nach Mo i Rana).

Man könnte zu den Lofoten abbiegen. Man kann Fagernes, Ramfjord, Laksvatn, Nordkjosbotn, Heia, Setermoen, Bjerkvik, Narvik, Ballangen, Skatberget sowie jede Menge Brücken, Berge, Meer sehen und dann erst einmal anstehen und auf die Fähre nach Bognes warten.
Die Überfahrt ist eine willkommene Abwechslung und bläst einen ordentlich durch. Man wird registrieren, dass man grad im Knut-Hamsun-Gebiet ist, man kann sich gegenseitig darüber in Kenntnis setzen, dass einem die Bedeutung von Hamsun klar ist, dass man aber nicht einmal "Hunger" gelesen hat. Man hat freilich Hunger, weil man ja seit Stunden im Bus sitzt und noch immer finnische Brötchen und Bananen ist, die zwar nach wie vor für tadellose Dichtung sorgen, aber schon längst mehr als auf die Nerven gehen. Man hat aber vorerst nicht Zeit, einen längeren Stopp einzulegen, da die Strecke gnadenlos lang und kurvenreich ist. Sie ist freilich auch unvergleichlich schön – zwei Stunden lang.
Üppig bewachsene Dächer, Berge spiegelnde Seen, Wasserfälle und Zeltlagerplatzromantik. Die Umgebung lässt mich viel an meine Kindheit und Ausflüge denken. Im glasklaren, eiskalten Bachwasser stehen und Dämme bauen. Steine suchen, die zum Pfitschen geeignet sind. Erdäpfel in Staniolpapier wickeln und ins Lagerfeuer legen, geplatze Frankfurterwürstel und Singlerafting mit dem Lkw-Schlauch vom Onkel Walter. Helgeland präsentiert sich als unendlicher Romantik-Camping-Platz. Wir können leider nur zum Pinkeln stehen bleiben. Die schönsten Plätze sehen wir so nicht. Aber wir haben ja Vorstellungskraft und Sitzfleisch.

Wir erreichen das Hotel mit Blick auf eine Baustelle nach 15 Stunden Fahrt gegen Mitternacht. Busfahrer Matti stehen nun gesetzlich mindestens 12 Stunden Pause zu. Für Mo i Rana hätten weniger gereicht, nicht so für Trondheim.

Selbst wenn da nichts mehr ist, ist da noch immer Landschaft


Saana macht ganz schön was her
Das ist schon Norwegen
Crowd-Tag-4 (von Enontekiö nach Tromsø)

In Enontekiö könnten wir das Nordlicht sehen. Wir könnten Naturabenteuer eingehen und die klarste Luft Europas einatmen. In Enontekiö können wir nach Schweden und Norwegen sehen, aber immer noch in Finnland sein. Wir könnten Eis- und Fliegenfischen, Schneeschuhwandern und Schneescootertouren, wir könnten in den Flüssen raften und in den Fjorden lieben (also theoretisch), wir könnten aber auch eine Schule besuchen und dort am Europatag 17jährigen einen 75minütigen Vortrag über Europäische Literatur halten. Das machen wir. Acht PoetInnen könnten die Einstellung der SchülerInnen Literatur gegenüber für ihr ganzes Leben prägen. Das versuchen wir gut zu machen. Die SchülerInnen kommen hier aus einem 60 Kilometer Einzugsgebiet. Es wird auf Suomi und Finnisch unterrichtet. Wir sprechen Englisch. Wir stellten uns also vor. Wir sprechen über Idole. Wir nehmen uns ernst (nicht alle, aber manche sich sehr). Danach bekommen wir ein Essen in der Kantine (gesund und warm – kein Burger! Fisch und Gemüse). Autogramme müssen wir nicht geben.

Erster Auftritt erledigt, erster Grenzübertritt steht bevor. Die letzte Gelegenheit billigen Alkohol zu erstehen. Es wird uns sehr geraten, den Alko-Laden aufzusuchen sowie sich mit Lebensmitteln einzudecken. Ich konzentriere mich auf dunkle, grobe finnische Brötchen und stopfende Bananen. Mein Darm hält dicht, die Blase auch. Ich sollte in der gesamten Reise nie um Notdurftpause bitten müssen. Danke Verdauung (du bist mein bester Freund). 

Tromsø war toll – Løgn! Das Versversprechen leicht gebrochen. Leicht ist die abgespeckte Variante von vielleicht, das lässt sich leicht sagen. In Tromsø könnten wir mit den Hurtigruten Richtung Skjervøy weiter in See stechen. Ich kann um 17 Uhr Derrick im Fernsehen sehen (im Original und aus den 1980er Jahren) und mache das auch – ein Flashback-Vergnügen. Man kann sich aber auch in einer ehemaligen Metzgerei einfinden, um dort Gedichte zwar nicht auf Fleischerhaken gehängt, aber ins Galgenmikro gehaucht, zu lauschen. Für harte Knochen gibt's Handouts mit norwegischer Übersetzung.
Danach könnten wir uns im Science Centre oder in der Bibliothek verlustieren oder aber einfach in ein Irish-Pub mit 20 Bieren und 40 Monitoren, auf denen Eishockey übertragen wird, verlieren. Wir könnten uns ob des Preises (99 Kronen, das sind mehr als 10 Euro) empören. Wir, also ich, ich kann aber einfach mit einem Finnischen Kollegen ein Bier nach dem anderen wegsaufen und eine Freude daran haben, dass ich noch nie um so viel Euro an einem Abend Bier getrunken habe. Dass es am Ende nicht einmal dunkel, ich selbst aber durchaus zufriedenstellend betrunken war, freut und ist zumindest zum Teil einzigartig. Wir könnten lamentieren, dass uns die fehlende Dunkelheit nicht einschlafen lässt, wir können aber auch einfach noch ein Bier nachgießen und dann glücklich besoffen ins Smart-Hotel-Bett sinken. Was wir taten? Ihr dürft raten.