Dienstag, 22. März 2016

Es ennst, steyrt und tabort

Es rauscht. Überall Wasser in erstaunlicher Fließgeschwindigkeit. Das hat etwas Respekteinflößendes. Die Enns- und Steyrschlingen sind nicht so schnell zu durchschauen, aber was gleich klar ist, ist dass die Altstadt riesig ist. Kirchen da und dort, ein Schloss am Hügelchen, mittelalterlich aneinander geschmiegte, bunte Häuser.
Alles schön und gut, aber zu Mitternacht kriegt man kein Bier mehr. Nicht einmal in der Taubenmühle (beim Röda). Dabei war das der Tipp der Musiker und die haben die Taubenmühle als arges, immer offenes Beisl angepriesen. Arg indeed. Gut, die Hotelbar war die Rettung. Eh gut, konnte ich noch mit acht COOL-Damen shakern.

20 Jahre COOL war nämlich der Grund meines Steyr-Aufenthalts. Im Museum Arbeitswelt wurde der Festakt gegeben und ich war das Geburtstagsgeschenk. Der Thementext (kooperatives, offenes Lernen) war nicht all zu schwierig, das Publikum zwar per se nicht einfach, aber gut kritisch und also gerade recht. Da sich die Sonne am Tag drauf zeigte, erkundete ich Steyr etwas ausführlicher. Ein Report.
11Uhr30 Hauptplatz. Junger Mann zum Polizisten: "I wix da des Bier um die Birn, Oida!"Wäre nicht die unverhohlen aggressive und auch unverbergbar angetüterte Intonation, der Zuhörende wäre geneigt, selbst diesen Ausspruch angesichts der vorherrschenden Grundfreundlichkeit als lieblich aufzunehmen. Die Zeugen Jehovas an der Ecke führen Schmäh und lachen schallend, goi!
Der Lamberg ist ohnehin der Hammer. Steinböcke, das LPD, Burschenschafter, die Bundesforste und eine Schlossbibliothek. Bunter geht's nimmer. Und wieder runter und auf der anderen - der Taborseite - wieder rauf.

"Weed Titten Arsch Schwanz" das ist al eine klare Ansage. Steht geschrieben auf der Taborstiege. Das Restaurant dort ist leider zu, das Café mit der La Marzocco und eigener Rösterei leider auch (Fr-Sa offen!). Die Stadt ist wirklich wunderschön: verwinkelt, vergasselt, auf und ab gepflastert und in der Ferne die Hohe Nock im Schnee. Aber unter der Woche - v.a. nachts - stirbt man hier wohl vor Langeweile. Aber natülich alles da: vom Hanf- über den Weltladen, diversen Französischer-Frauenname-Boutiquen, einer Verlagsbuchhandlung bis zu Segway Steyr ("Poetry Slam ist der Segway der Literatur", schreibt Rohrspatz Ronja von Rönne).
Steyr ist das Venedig des oberösterreichischen Alpenvorlands.
Schöner Ausflug!

Samstag, 19. März 2016

Städteroulette

Der neue Roman von Barbi Marković ist da. Er heißt Superheldinnen und ist bei Residenz erschienen. "Ausgehen" (Edition Suhrkamp) ist noch bestens in Erinnerung, danach hat sich Barbi Marković als Stadtschreiberin von Graz, Hörspiel- und Theatertextverfasserin verdingt, aktuell macht sie eine Ausbildung zur Bibliothekarin, jetzt wuchtete sie aber erst mal drei Superheldinnen in die Welt. In die Wien Welt (aber nicht nur).
Die home base von Mascha, Direktorka und der Ich-Erzählerin ist das Café Sette Fontane, dort treffen sich die drei jeden Samstag, um an ihrer Kolumne für die Zeitschrift Astroblick zu arbeiten. Die heißt Schicksalsblitz und bündelt die Aufmerksamkeit der LeserInnen und der drei Superheldinnen auf ein Schicksal, um dieses zu verändern. Die zweite Superkraft ist die "Auslöschung". Die scheint Thomas Bernhard inspiriert und wird seltener angewendet.
Das Sette Fontane ist ein typisches Wiener Tschocherl mit einem Kellner der ein Gschichtldrucker ist und AlkoholikerInnen-Inventar. Diese Gschichtln sind oft Höhepunkte, wenngleich auch tragisch-traurige. Wien zeigt sich eher unwirtlich. Der Winter ist lang und in Berlin ist es noch kälter. Dafür ist Belgrad "wie ein aufgerissener grauer Kuhfladen" und im Nebenschauplatz Sarajewo stirbt Maschas Vergangenheit Rabija.
Ja, es geht einerseits um Städteporträts - Barbi Marković verwendet die Technik der Stadtabschreibung, die sie in Graz entwickelt hat, dh, sie schreibt konsequent Schilder, Hinweise, Werbungen, Graffitis im öffentlichen Raum ab und vertextet/verdichtet sie - aber es geht vor allem darum, sich fern seiner Heimat in einer neuen Stadt, eine Existenz aufzubauen, ohne groß die Mittel dafür zu haben. Es geht um das Abweisende von Städten. Es geht um die Sehnsucht, in der Mittelklasse anzukommen. Es geht viel um Einsamkeit und Depression. Aber Barbi Marković weiß, wie man das einerseits ergreifend, andererseits aber auch immer wieder sehr verschlagen humorvoll machen kann.
Die drei Superheldinnen helfen einander und bündeln schließlich ihre Kräfte, um das Lebensziel Mittelklasse (nicht nur mehr mit Fragen der Existenz beschäftigt sein, sondern sich Konsum und anderen Problemen hingeben zu können) zu erreichen. Sie machen Geld im Casino und die Entwicklung ist eine fragwürdige.
Fraglos aber ist. Diese Superheldinnen sind erfreulich anders, nämlich von hochkomisch bis zu Tode betrübt.

Freitag, 18. März 2016

Popliteraturdebatte reloaded?

"Man hört ja so Sachen, und am Ende waren's immer die Netten.", schreibt Ronja von Rönne bzw. ihre Heldin Nora bereits auf Seite 11 in ihrem Romandebüt "Wir kommen" (Aufbau 2016). Man hört ja seit einem Jahr so allerhand von RvR. Sie deklarierte sich als Egoistin - nicht als Feministin. Machte mit provokanten Blogeinträgen und journalistischen Beiträgen für die Welt auf sich aufmerksam, war 2015 auch beim Bachmannpreislesen mit dabei, fiel da zwar durch, aber eben auch auf, weil sie einen eigenen Tonfall hat. Weil sie keine Scheu vor gar nichts hat und weil sie pointiert böse formulieren kann. Ob sie eine Nette oder einfach eine gut auf den Literatur- und Feuilletonbetrieb Vorbereitete ist, sei vorerst einmal dahingestellt. Jedenfalls scheint sie einen Gesamtplan zu haben und in diesem Plan war jetzt der Debütroman dran. "Wir kommen" also. Klingt nach einer Drohung ist aber im Text, auf einer Party einfach die Antwort auf die Frage: "Gehen wir?" Wer fragt, wer geht, wohin?

Es geht um eine experimentelle Viererpack-Beziehung: Nora, Leonie, Jonas und Karl + Kind von Leonie: Emma-Lou. Emma-Lou schweigt trotz ihrer 5 Jahre. Sie hat ihrer Welt nichts zu sagen. Nora schreibt, das hat der Therapeut empfohlen. Von dem bekam sie ein Notizbuch mit Streichholz vorn drauf inklusive englischem Wortspiel ("it's a match"). "Ich habe genickt. Das kann ich gut.", schreibt Nora (S. 12). Und natürlich kann sie auch das aufschreiben gut. Sie konzentriert sich auf Details und gibt sich sprachlich motivierten Auseinandersetzungen hin. "Ich bin eifersüchtig auf jeden Gegenstand mit einem weiblichen Artikel. Die Marmelade. Die Tür. Alles Schlampen." (15)
Nora weiß, was sie macht, was kein Grund ist, es nicht zu machen. "Meine Gedanken sind nicht gut, und meist folgen ihnen Taten. Und den Taten dann Probleme." (38) Selbsterkenntnis schütz nicht vor Problemen!
Sie deckt Marotten der Pärchensprache gnadenlos auf, sie treibt ihre Analysen schön auf die Spitze. So steht dann beispielsweise am Ende einer längeren Betrachtung das Einkaufsverhalten der Menschen im Kaufland betreffend: "Wahrscheinlich bricht das ganze System zusammen, wenn Putengeschnetzeltes nicht im Angebot ist." (30)
Die Heldin ist in Therapie, weil sie mit nächtlichen Panikattacken zu kämpfen hat. Ihre Kindheitsfreundin Maja - die angeblich gestorben sein soll, so hebt der Text übrigens an - hat auch so ihre Probleme, aber war vor allem für alles zu haben und wusste sich immer zu helfen: "Rausgehen hilft gegen Angst vor Rausgehen." (41) Wie wahr!
Und warum ist diese Generation so? Hat das epigenetische Gründe? "Das Unglück liegt in der Verfügbarkeit von Alternativen." (102)

Ja, diese Leute haben alles, aber sie haben eben auch neue Probleme "die vage Langeweile unserer sandigen Leben." Kleinigkeiten werden Katastrophen. Moral muss nicht sein. Nora arbeitet als Moderatorin der Fernsehsendung Super-Shopper. Karl schreibt Sachbücher (u.a. über das Glück: "Es ist unfair, dass ich ohne Talent unglücklich bin, während er damit Geld verdient." 98). Jonas ist Grafikdesigner für eine Werbeagentur. Leonie lächelt, ist schwarz und bringt Multikulti-Touch in die Viersäulenbeziehung.
Der Plot ist einfach aber auch einfach gar nicht so wichtig. Nora notiert. Das Beziehungskonstrukt wackelt. Die Krise wird bekämpft, indem man sich in ein Strandhaus zurückzieht und weitgehend auf Smartphones verzichtet. Dazwischen ploppen immer Maja-Geschichten auf und der Tod schwingt im Hintergrund. Etwas Verbindendes für die Gemeinschaft wird gesucht. "Hauptsache ein Uns." (74)
"Plotlos unglücklich" wäre eine gute Überschrift für einen Verriss. Und Verrisse wird es geben und hat es schon gegeben (Klaus Nüchtern im Falter z.B.). Aber man kann einfach auch eine Freude daran haben, wie Nora den Metaphern misstraut, wie sie Verhaltensmuster demaskiert und ihren Schreibprozess permanent hinterfragt. Das ist Sprachskeptizismus NEU mit ordentlich Humor und vielen schönen Sätzen.
Christian Kracht wurde für "Faserland" vor 20 Jahren auch nicht nur geliebt. Ronja von Rönne mag zwar grad zu viel Thema sein in Medien aller Art, aber sie hat es offensichtlich geschafft, das nächste Level in ihrem Spiel mit den Marktmechanismen zu erreichen. Dass es nach wie vor so einfach ist zu provozieren, überrascht zwar, aber gut, besser Empörung als Ignoranz.
Man muss "Wir kommen" einfach nicht als Drohung auffassen, dann kann man sich an vielen Bonmonts erfreuen und darauf freuen, dass RvR sicher noch viele aufregende Bücher schreiben wird. Ich jedenfalls hatte meinen Spaß.

Montag, 7. März 2016

Die Dächerdraufsicht ergibt ein recht aufgeräumtes Bild. Keine Kanäle ersichtlich. Gepflegt beziegelt, herausgeputzte Terrassen, Balkongebattle und die Antennenwälder sind Vergangenheit, Sat-Schüsseln wiederum gern gut getarnt - löblich.
Rot-braun-gelb-beige-Studien böten sich an. Vokabular müsste recherchiert werden: siena, ocker, umbra, etc. Die Selfiestangengefechte halten sich in Grenzen.
Fucking Tischsymetrie am Markusplatz - nix chaotisch italienisch - streng in Reih und Glied. Wenigstens die Tauben hocken wo und wie sie wollen. Airconditionkästen ballen sich prominent auf Dachterassen der fetten Paläste und rühren vor sich hin. Solarzellen haben noch nicht so recht Fuß bzw. Dachschräge gefasst.

Die "Call Home" Zelle im Campanile-Eck ist auch ein Relikt aus der Prä-Handy-Zeit, nimmt aber gut Platz ein - ist ja schließlich auch ein Monument, ein Denkmal. Rund um mich smartphont's und tablettet's und Teleobjektive- respektive Schwanzvergleiche werden ausgetragen und ich schau zu und schreib's nieder.
La Serenissima hat mich um den Finger gewickelt - gut gewickelt!

Donnerstag, 3. März 2016

Durchs Jahr mit den Incandenzas

Schreiben und an die Glocke gehen verboten!
Infinit Jest: Teil 2
Jetzt aber mal eine ordentliche Portion Depression. Der Mann weiß, wovon er schreibt. Das greift tief und langt ordentlich zu. Indes hat sich der saudische Gesundheitsattaché zu Tode unterhalten und wir lernen Hals Kollegen etwas näher kennen. Außerdem wird ein neues Fass, das Spionage- und Agentenfass aufgemacht. In der Tennisakademie aber sind alle nur müde uns lästern über ihre Trainer ab, durchschauen aber auch, dass dieses Ablästern von ihnen gewünscht wird. Oh ja, das sind schon alles Schlaumeier, diese angehenden Tennisprofis. Aber sie haben natürlich auch alle schon ihre Schäden und Macken und wer macht's wieder gut? Die Chemie und das Gemeinschaftsgefühl, aber mehr die Chemie. Das ist schon alles ziemlich lustig, wird aber noch besser, wenn Mario Incandenzas romantische Erfahrung mit dem weiblichen Aufschlagmonster im Dickicht samt verstecktem Husky-VI-Stativ beschrieben wird. Dann wird man aber gleich wieder runter geholt mit einer flirrend-brutalen Drogenmilieu-Story. Das kommt sprachlich alles so unterschiedlich daher, so souverän unterschiedlich, dass man wirklich nur den Hut ziehen kann. Und kaum wird ein Drogenkollege im Container entsorgt und das laute Klonken seines Schädels im leeren Container beklagt, wehklagt ein verunglückter Maurer über sein Flaschenzugschicksal, das zwar auch mit erheblichen Verletzungen endete, aber dermaßen lustig ist, dass man sich wünscht, er hätte sich noch mehr gebrochen.
Womit wir gerade mal ein Siebtel (200 Seiten) des Gesamten gelesen hätten. Was heißt hier wir? Ich. Morgen stelle ich den Wuchtwälzer wieder ins Regal (Bibliothek in der LiterarMechana Venedig-Wohnung) und mal sehen, vielleicht lese ich im Sommer in Griechenland weiter.

Dienstag, 1. März 2016

Die Schirmherrschaft der Singlebrust im verlorenen Paradies

Ich sitze am Ofen und unter einer Titte.
Aus den Boxen wird gefotzhobelt, schräg gegenüber ein Ritter am Pferd: Papppferd, Blechritter. Ich habe noch nichts getrunken, fange aber an.
Die Suppe heißt „Tempesta“. Ob das was mit Shakespear zu tun hat, weiß ich nicht. Noch bricht kein Sturm in mir los, gleichwohl es schon ein westernsaloontauglicher Pot Bohneneintopf ist. Für einen ersten Gang schon mal solide. Ich selbst bin bereits halbseitig durch, man müsste mich wenden. Behelfsmäßig entledige ich mich des Pullis.
Rechts von mir die Bühne mit Klavier und drunter gestapeltem Schlagzeug. Vielleicht doch auch abends herkommen, wenn der Sturm nicht zu stark ausfällt – haha – einsetzt natürlich. Eigentlich sitze ich ja auf dem Sessel, am Tisch, am Kamin, aber im Kamin steht ein Ofen und der lodert. Nur der Vollständigkeit halber: im Kamin hängt auch ein Ventilator. Wäre Sommer, bliese mir wohl der Kaminventilator ins Gesicht, ob es sommers auch die Sturmsuppe gibt, weiß ich nicht. 

Auf der Kaminbank auch ein etwas obszöner Kerzenkürbis; daneben – in der Feuerstelle – der Feuerlöscher. Die Hauskatze sitzt am Brotschneidtisch und leckt sich. Eine Frutti-di-Mare-frittiert-Schwade ergreift sich Raum, lässt mich aber kalt. Das ist der Vorteil an Gangzweiabwartphasen, sofern Gang 1 schon für ausreichend Sättigung sorgte, was im Strumsuppenfall definitiv der Fall ist. Infolgedessen ist im Wittgensteinschen Umkehrschluss die Suppe die Welt: die Ursuppe.
Und nach der Welt kommt nun die Wucht: ein Schneidbrettl voll dampfender Seppie mit Polenta. Wenn's heut noch gewittert und stürmt, wird der Niederschlag wohl schwarz ausfallen – haha – abfallen natürlich. Mahlzeit!
Man könnte dieses Gericht „die Schöne und das Biest“ nennen. Die Schöne ist glibbriger Golschwabbel, das Biest geteertes Beuschl, und ich mag Beuschl und Schwabbel auch. Wahrscheinlich müsste man hier so lange sitzen, bis man zwei Titten sieht.

Perspektivenwechsel.
Jetzt lass ich mich rechtsseitig (gerade noch rechtzeitig – hihi) anbrutzeln. Vorher Blickrichtung Küche, jetzt Blick lokalauswärts (hollawind, heut fliegen mir die Wortspiele nur so zu, huiwui: Wortspielsturm). Vielleicht find aber ohnhin nur noch ich das lustig – bin einen Halben Weiß zu Mittag halt auch nicht gewöhnt. Der Mittagsschlaf wird heute wohl etwas länger ausfallen – haha!
Jetzt reicht's mir selbst! 
 
Toll hier, danke Matthias für den Tipp!
Paradiso Perduto, Fondamenta della Misericordia