Samstag, 10. April 2010

Beiläufigkeitsbemäntelung

Richard Obermayr: Das Fenster (Part 3: Seite 71-110)

Als wären diese Erinnerungen schon vor ihm da gewesen und hätten auf ihn gewirkt. „... und von diesem Augenblick an wusste ich, dass ich träumte, und tat alles, um mich nicht selbst zu wecken.“ (S. 73) An anderer Stelle heißt es: „Ich sortiere die fertigen Träume.“ (S. 96)
Erinnerungen wollen gehütet werden, sonst schließen sie sich dem Leben eines anderen an. Andeutungen reifen zu Vorwürfen und Klagen: „Alles, was wir nur begonnen haben, geht hier unbeirrt weiter; (S. 83)
Hier, in dieser Geschichte, ja, da ist das so und das ist erfrischend anders. In allen Gesten wird etwas wiederentdeckt oder -erkannt. Er stößt nur noch auf seine Spuren, das Leben selbst ist ihm „entwischt“. Er verschleppt Szenen und Beobachtungen in sein Leben, eignet sich Bilder an und besetzt sie für sich neu. Akrobaten und der Zirkus beschäftigen ihn. Das Foto vom gelb-türkisen Zirkuszelt samt Wohnwagen und ländlichem Drumherum auf Obermayrs spartanischer Homepage unterstreicht diese seine Begründung anschaulich. Nun aber mal höchste Zeit für ein längeres Zitat:

„Etwas hindert sie daran, dieses Leben zu leben, als dürfe sie nicht darauf zurückgreifen, als sei es zu kostbar und müsse für einen besonderen Anlass aufbewahrt werden. Niemals würde sie fertig sein, mit dem Anziehen des Mantels, in den ihr mein Vater hilft, eine Geste, die innen mit Beiläufigkeit gefüttert war, wie um seine Zuneigung zu bemänteln. (…) doch erst da sah ich, was ich alles beim ersten Mal, als ich diesen Weg ging, am Rand liegen lassen musste, um mit der Zeit Schritt zu halten, all die Dinge, die ich damals übersprang.“ (S. 80)
So ein Satz lässt sich problemlos weglesen, er bietet sich aber auch an, zum Hängenbleiben und selbst Sinnieren und das ist doch wunder schön, nicht?