Crowd-Tag-3 (von
Rovaniemi nach
Enontekiö)
Man könnte sich darüber wundern, dass mexikanische Restaurants hier so verbreitet sind, Espressobars hingegen nicht. Man könnte staunend zur Kenntnis nehmen, dass kaum ein Haus hier älter als 80-90 Jahre ist, eines davon aber das Korundi-Museum zeitgenössischer Kunst mit phantastischem Konzertsaal beherbergt. Man kann sich durch Rezitieren eines Gedichts immerhin einen
Korundi-Kugelschreiber verdienen. Man kann nachfragen und sich an die Politik der verbrannten Erde erinnern. Ja, die Nazis haben Rovaniemi komplett abgefackelt.
Pappmasche heißt flaxpaperpulp heißt
Pellavakuitupaperimassa. Die Keramiknippesparade und die psychodelische Begockelung im Frisörsalon Hahnenkamm gefällt. Angenehm wenig
Plumpblödeleien und auf der Lapplandpizza sind Ananas. Meine heißt Dillinger und hat mehrere Fleischauflagen: von Bolognesesoße über Salami bis
Rentierschnitzelchen. Im Hintergrund laufen
Saxophonversionen von 80er Pophits mit
Schnulzenfokus.
Die Dröhnung sorgt nach wie vor für angenehmes Gedämpft- aber Aufnahmefreudigsein. Nach dem Museum geh ich essen. Noch sind beide Gruppen zusammen, bald wird der Bus von Team 2 übernommen. Jetzt gilt es Busproviant zu besorgen. Aufgrund der jeweiligen Verhaltensweisen lässt sich schon sehr viel über Crowd-Team-2 mutmaßen.
Mutmaßen macht Spaß, bestätigt werden auch und widerlegen lass ich mich jederzeit gern. Widersagst du dem Vorschnellen Urteil? Ich widersage vorerst nicht. Widersagst du dem Nachmittagsbier? Ich widersage definitiv nicht. Widersagst du der Wiederholung. Ich widersage wiederholt nicht. Ich beziehe einen Sitzplatz in der Busmitte gegenüber von Schweden.
Tschechien macht sich in der letzten Reihe breit. Dann
Serbien/Österreich und
Belgien und vor
Schweden und
Österreich,
Frankreich/Deutschland,
Zypern und der
finnische Block (2 Führerinnen, 1 Poet, 1 Busfahrer). Keine Sorge, Namen werden folgen. Es folgt vorerst: Das Betreten des Polarkreises.
Ein aus dem Boden gestampftes Touristenressort: Santa Claus Postamt, Rentiertitsch, putzige Holzhütten und diverse Bodenmarkierungen. Da wurde nichts ausgelassen. Aber hei, ich will das jetzt gar nicht zu kritisch beäugen. Die Sonne scheint. Ich am
Polarkreis. Santa Claus auch da. Die
Vorabendimprägnierung hält noch an. Da kann man schon auch mal einfach unreflektiert glücklich sein. Jetzt ist es aber Zeit, Kilometer zu machen. Rein in den Bus und Landschaftsfilm ab.
Ich sitze im Crowd-Bus und lasse
finnische Landschaft an mir vorüberziehen. Ich sehe: Bäume, Himmel, Wasser. Bäume im Wasser, Rentiere, rostbraune und senfgelbe Hütten. Bäume. Birken, Tannen, Fichten. Birken im Wasser, Tannen im Wasser, Holz vor den Hütten. Schneereste, Schmelzwasser, Flaggen im Wind. Weiß-blaue Flaggen. Flaggen ohne Bäume. Immerhin.
Fünf Stunden Fahrt zeigen Birkung. Doch dann – Zivilisation: eine Hütte, mehrere Hütten, eine Kirche, zwei Burger-Buden und unser Hotel in
Enontekiö.