Sonntag, 7. März 2010

Großmutter

Gerhard Roth: Das Alphabet der Zeit: Seite 199-339

Die Großmutter aus Siebenbürgen kommt und sollte zur wichtigsten Bezugsperson Gerhards werden, mit der Schwiegertochter freilich gibt’s Schwierigkeiten. Großmutter schrieb Gedichte und sah in Gerhard einen Künstler. „Du darfst nichts tragen! Das ist zu schwer für dich! (…) Du bist ein Künstler“ (S. 218) Großmutter hat Gesichtszuckungen und schnalzt mit den Lippen und um wenigstens einen Teil ihres Vermögens retten zu können, ließ sie sich goldene Zahnkronen anfertigen. Gerhard und die Großmutter erfinden Geschichten, Gerhard entdeckt überdies seine Vorliebe fürs Improvisieren in Fantasiesprachen.

Onkel Fritzl, der Bruder von Omi, der anderen Großmutter, lebte als Insasse der Anstalt für Geisteskranke am Feldhof bei Graz. Fritzl vertrug keinen Alkohol, trank aber viel und dann wurden Späße mit ihm gemacht. Am Feldhof freilich wurde er „ruhiggestellt“. Gerhard beschäftigt der Besuch seines Onkels sehr, er fühlt sich mit ihm verbunden und versteht nicht, wieso er eingeliefert wurde.

Gerhard indes setzt seine Krankenhausaufenthaltsserie fort. Immer wieder scheint er dem Tod nahe, springt ihm dann aber doch noch von der Schaufel.

Großmutter und der Großvater mütterlicherseits waren die beiden Erzähler seiner Kindheit, während der Vater nichts von sich preisgab. Vater wollte nur, dass sein Sohn dereinst einmal Arzt wird, dass er allerdings schon in sehr jungen Jahren das Doktorspielen entdeckt, heißt er weniger gut. Das Vaterverhältnis gestaltet sich ohnehin zunehmend schwieriger:

„Je mehr ich versucht hatte, Vater zu gefallen, desto selbstverständlicher hatte er mich übersehen. Sobald ich hingegen bereit war zu leiden, war er verzweifelt und wehrlos, das hatte ich an seinem Gesicht gesehen.“ (S. 290)

Die Erstkommunion steht an, Gerhard weiß nicht, was er mit diesem Gott anfangen bzw. was das Sünden-Gerede soll:

„Der Zweifel, der langsam zur Gewissheit wurde, dass vielleicht nur ich etwas nicht verstand, was für alle anderen selbstverständlich schien, lähmte mich stärker als jeder andere Umstand. Vielleicht, so quälte ich mich, begriffen alle außer mir den Glauben, und bevor die anderen es bemerkten, war es besser zu schweigen.“ (S. 296f.)

Mut zur Meinungsäußerung: „Wenn in den Märchen Tiere sprechen, so ist das nur eine Vorwegnahme eines zukünftigen, besseren Verstehens von Tieren. Dass Tiere denken und sich ausdrücken können, sich erinnern und träumen, wenn auch nicht in menschlicher Weise, halte ich für erwiesen.“ (S. 271)
Mir brauch'n 's nix erzähln, i kenn des eh: „Mir war in meinem Leben nur in der Schule langweilig und das beinahe immer. (…) Die Verstellungskunst war die erste und einzige Kunst, die ich in der Schule wirklich gelernt habe.“ (S. 311 und 312)
Wisse: ein Blutzer ist nicht bloß ein Kürbis oder ein Mensch mit mords Schädel, ein Blutzer ist vor allem ei 25-Liter-Gefäß für Most, Wein oder Öl.