Donnerstag, 18. Mai 2023

Von Dreimastern und Dreiecken


Zum Abschluss noch ein Abenteuer, hab ich mir gedacht. Zum Abschluss musst du noch rauf auf den Berg, hab ich mir gesagt. Zum Abschluss musst du das Geheimnis lüften, was denn das da oben ist, das so markant dem Hügel aufgesetzt wurde und von wo aus der Blick auf Triest und darüber hinaus Wahnsinn sein muss. Rauf auf den Monte Grisa also. Da steht seit 1966 eine Wallfahrtskirche, die architektonisch außergewöhnlich ist, weil ganz der Dreiecksform verschrieben und ganz in Sichtbeton gehalten. Der Volksmund nennt das Bauwerk "Formaggino" - Käseeckerl also. 

Ich pack mir ein Käseweckerl ein, muss ja die Vorräte abbauen, den Kühlschrank leeren, am Samstag wieder heimkoffern. Aber vorher noch rauf, und das aus der Nähe betrachten und vielleicht auch noch das zweite Geheimnis lüften. Was es mit diesem Luxus-Dreimaster auf sich hat, der heute vor Miramar ankert und die letzten Tage immer irgendwo in der Bucht von Triest auf sich aufmerksam machte, ohne sich groß zu bewegen und dabei mehr nach Kunst als nach einer wirklichen Jacht auszuschauen. Aber eins nach dem anderen. Ich nehme den Bus 42 um raus aus der Stadt auf die Via Friuli zu kommen. Die ist sehr lang, ich steig irgendwann mal aus, schaue nach oben - da steht das Ziel, schaue mich nach einem Weg um - da ist nicht wirklich einer. Also einfach mal querfeldein aufwärts. 

Nach Überwinden einiger Hindernisse, ist mit viel Phantasie eine Art Weg auszumachen. Wenn da in den letzten Monaten wer ging, dann waren es eher kletterbegabte Tiere als Menschen. Aber ich bin motiviert und ich bin auch stur. Eine nicht immer günstige Konstellation. Es ist heiß, ich genieße aber Baumschatten, was den Nachteil hat, ich seh mein Ziel nicht mehr. Ich seh gelegentlich nach unten - tolle Aussicht - und mache Höhenmeter, habe aber das Gefühl, die Richtung stimmt nicht, aber Zurück gibt es schon längst keines mehr. Also weiter. Ich mach schon mal sicherheitshalber ein Foto und schalte das Internet ein:) - zwecks Ortung für den Rettungshubschrauber. 

Ich gebe mir noch eine halbe Stunde, bevor ich nächste Schritte (haha) setze. Die da sein könnten: verzweifelt wen anrufen, sofern ich Netz habe. Netz hab ich. Ich sehe - Hoffnungsschimmer - mächtige Handymasten. Die stehen auch auf der Spitze des Berges, das weiß ich. Nicht in der Nähe der Kirche, aber immerhin oben. Ich bin wieder motiviert und beschleunige meine Schritte. Wenn ich nach unten schau, ahne ich schon, dass ich sehr weit abgekommen sein muss. Aber es ist ja noch früh. Ich habe eine Flasche Wasser, eine Banane, ein Käseweckerl und etwas Schokolade bei mir. Damit lässt es sich Tage überleben. Also weiter. 


Ich höre knirschenden Kies. Ich war noch nie so froh, ein Auto auf einem Kiesweg vernommen zu haben. Bald danach vernehme ich ein Hundekläffen. Auch das macht mich grad glücklich. Weiter, weiter, weiter und siehe da: ein Weg, ein richtiger. Da wandern auch Menschen. Ich frage einen, wo es denn zur Chiesa Grisa gehe, er ist überrascht und meint, da müsste ich quasi den Berg rum runter und dann wieder rauf. Es sei zwar markiert, aber man sehe es nicht wirklich. Gut. Das reicht mir. Damit kann ich arbeiten. Ich gehe also den Berg rum runter und begegne immer mehr Menschen. Und dann sehe ich sie endlich mal, die verdammte Käseecke. Jetzt plötzlich wieder ober mir. Aber machbar. Es wird immer lebendiger, ein Parkplatz muss nah sein, denn Familien spazieren mit Kindern, die nichts mehr hassen dürften, als spazieren. Auf den Felsen kraxeln oder bouldern bunt gekleidete Menschen. 

Ich bin auf sicherem Terrain und belausche eine Gruppe vor mir, die sich auch fragen, was es denn mit diesem komischen Segelschiff auf sich habe. Eine hat eine Antwort: Die größte Segeljacht der Welt (143 m) gehört einem russischen Oligarchen, wurde von Italien festgesetzt, ist über 500 Millionen Euro wert, der Oligarch lebte in der Schweiz (jetzt in Dubai), aber auf dem Schiff ist nach wie vor die Crew und die schippern halt mal da mal dort hin in der Bucht von Triest, aber weg dürfen sie nicht.

Ich darf am Samstag wieder weg von Triest und habe die Zeit gut nützen können. Ich habe viel geschrieben. Ich hatte schönen Besuch. Ich lese grad noch ein Buch, das ich vermutlich hier dann auch besprechen werde. Es hat zwar ganz schön viel geregnet, aber so kam ich wenigstens zum Arbeiten. Also alles gut. Zurück nach Triest nahm ich den Bus. Der fuhr zwar auch erst lange in die falsche Richtung - ich war schon an der Staatsgrenze. Aber irgendwann nahm er dann doch wieder Kurs auf die Stadt und exakt nach 60 Minuten (so lange sind die 1,80 € Tickets gültig) erblickte ich wieder Vertrautes und war erstaunt, wie viel man in kurzer Zeit erleben kann. 

Dass bei meinem Aufwärtstrip die Phantasie mit mir mitunter durchging und ich mir diverse Horrorszenarien ausmalte, setze ich als bekannt voraus und muss hier gar nicht näher ausgebreitet werden. Bin ja Autor, müssen ja galoppieren dürfen, die Gedanken. Die Kirche übrigens fand ich großartig. Sie wurde erbaut, weil der Bischof ein Gelübte ablegte, wenn Triest vom Bombardment verschont bliebe, eben als Dank eine zu bauen. Die Reiseführer würdigen sie meiner Meinung nach viel zu wenig. Ist im Grunde ein absolutes Alleinstellungsmal eine derartig abgefahrene Wallfahrtskirche. Am Fußweg dort hin könnte man noch arbeiten.