1. Lockdownwoche - 2. Lockdownlektüreprotokoll
Ein toller Titel, ein mir unbekannter Verlag und Autor, der aber – mit diesem Buch – schon den dritten Roman vorlegt und aus Osttirol kommt. Das scheint mir doch eine perfekte Lockdown-Lektüre zu sein. Fasthuber hat neulich eine ganze Seite darüber im Falter gemacht. Doris hat das Buch schon vorher, als es noch erlaubt war, in Buchhandlungen zu gehen, in der Lerchenfelder Buchhandlung entdeckt, gekauft und angelesen und gemeint, dass das etwas für mich sein könnte, denn es gehe um Herkunft, Provinz und Jugend. Alles richtig.
Der Held heißt Romed, wohnt in einem 400 Höhenmeter von Lienz entfernten Dorf und wir begleiten ihn gut ein Jahr lang. Ein besonderes Jahr. Romed steht die Matura bevor, ihm steht sein erstes Mal Sex bevor, er wird vom Kampfsportler zum Kampftrinker, vom kalkulierenden Gymnasiasten zum willigen Ferialarbeiter, vom Mofafahrer zum Autostopper, vom Kassetten-Verchecker zum Konzertveranstalter, vom peinlich Rumknutscher zum Kamasutrapraktikanten und vom Teenager, dem alles verziehen wird, zum rebellischen Zivildiener. Ein ereignisreiches Jahr. Fast zu viel für ein Jahr in der Provinz. Man hat das Gefühl, da stecken Erlebnisse aus der ganzen Oberstufe in dieser linearen Erzählung. Schnitte hätte dem Roman gut getan. Eine starke Frauenfigur hätte dem Roman auch gut getan. Denn die Helden sind hier eindeutig die Männer, die Burschen, die Bubis. Das mag zwar sehr der Realität der 1990er Jahre in Osttirol entsprechen, aber um historische Authentizität geht es ohnehin nicht.
Um was geht es? Natürlich ums Erwachsenwerden. Um das Eintauchen in die frühen 1990er Jahre. Da leistet der Roman ganze Arbeit. Auch wenn man es selbst anderes erlebte, öffnet der Text Erinnerungsräume und lässt einen diese, mal fröhlich, mal peinlich berührt, betreten. Die Schulzeit – vor allem das Lernen auf die Matura – wird äußerst präsent. Die diversen Nöte sind evident. Der Übermut, die Ungeduld, das Nicht-besser-Wissen und Noch-nicht-Wissen-was-genau-Wollen wird ohne WHAM! Und ABBA transportiert. Natürlich kommen Romed und seine Kumpels ohne Hitparadenmusik aus, sie sind anders. Aber ganz raus aus den Strukturen kommen sie doch nicht. Sie strampeln. Sie tanzen Pogo. Sie grölen Punklieder. Sie arbeiten daran, gute Menschen zu werden, die nur mal eben testen müssen, wie viel Bier sie vertragen, wo, wie und mit wem sie leben wollen und was sie eigentlich machen wollen. Normale Teenagernöte flüssig, ja, süffig aufbereitet.
Es gibt eine Fußnote im gesamten Text, im ersten Kapitel. Darin wird erklärt, dass zum besseren Leseverständnis, alles in Euro angegeben wird, was mit Geld zu tun hat. Das ist ein krasser Illusionsbruch. Das tut einem Leser, der selbst in den 1990er Jahren das Trinken lernte, weh. Das ist eine schmerzliche Fehlentscheidung, die sich leider durch den ganzen Text zieht und immer wieder unangenehm aufstößt. Dabei ist der Text sonst über weite Strecken super zu lesen. Moser-Sollmann erzählt souverän, rasant und man folgt dem Leben des vermeintlichen Taugenichts gern. Vor allem, wenn er nicht über Mädchen schreibt. Denn da geht nicht nur für Romed, sondern auch für den Erzähler viel schief. Die Mädchenfiguren sind austauschbar, in der direkten Rede klingen sie nach Bravo-Dr.-Sommer und eine tragende Rolle hat lange keine. Beim Zivildienst nur männliche Arschlöcher, die besten Freunde Sid und Breiti, der Musik-Magazin-Herausgeber und Harley-King Moritz, als Nachbarn in der Pfadfinder-Bude Burschenschafter und sonst richtet es auch eher der Papa als die Mama. Der Ich-Erzähler ist im Aufdecken von Rassismen bei seinen Arbeitskollegen sehr gewandt, gibt sich generell open-minded, kritisch und ist ein wacher Geist, wenn er nicht gerade diverse Drogenerfahrungen machen muss, das Frauenbild aber ist erschreckend eindimensional. Das ist schade und macht den Roman leider nicht zu einem Bedenkenlos-zu-Weihnachten-an-Freunde-Verschenk-Buch.
Christian Moser-Sollmann
Ohne WHAM! und ABBA
Dachbuch Verlag 2020