Mittwoch, 26. November 2025

Einflugschneise

 Reiseplanung geht anders, schon klar. Man reserviert nicht einfach am Tag vor der Abreise ein Hotel und bucht den Flug dort hin auch nicht in letzter Sekunde. Aber scher ich mich, wie man das richtig macht? Nein. Höre ich in meinem Zimmerchen in der Tschechischen Botschafts Residenz nach meinem letzten Termin Tocotronic "Pure Vernunft darf niemals siegen" und buche relativ planlos drauflos? Ja. Ginge das besser? Ja. Ist es arg daneben gegangen? Naja. Bin ich am Arsch der Welt gelandet und hab dort nicht mal ein Hotel? Nein. Aber. 
Der Tuk-Tuk-Transport zum Flughafen ist spektakulär. Die Wendigkeit der Fahrzeuge und Frechheit der Piloten beeindruckt. Für den Laien grenzt das ja an Todesmüdigkeit aber was weiß ich schon von indischem Straßenverkehrsverhalten. Eine Maske jedenfalls empfiehlt sich für das luftige Tuk-Tuk-Fahrgefühlerlebnis. Delhis Flughafen ist natürlich riesig und schon vor den Eingängen sollte man wissen, bei welcher Schlange man sich anstellt. Ich probier einfach mal mit Pass und Mailbestätigung mein Glück. Der Soldat ist höflich aber abweisend. Der Selfe-Check-In-Automat ist auch höflich aber abweisend. Er aber schickt mich immerhin zu einem Ticket-Schalter. Am Schalterverhalten der Menschen lässt sich schon viel ablesen. Bei mir geht's ruckzuck. Ein Papier wird abgestempelt und schon wird auch mir Einlass gewährt in den Flughafen. Nächste Schlange: Kofferabgabe. Mein Koffer hat kontinuierlich abgenommen. Es geht ihm da gleich wie mir, denke ich. Zwar esse ich, wann immer es geht, nur ging es bisher nicht sehr oft. Mein Koffer hat in 11 Tagen 12 Bücher verloren. Da kann ich zwar nicht mithalten, ich werde aber daran arbeiten, dass sowohl der Koffer (Hemden, Gewürze, Souvenirs) als auch ich (Seafood, Seafood, Seafood) in Goa ordentlich zunehmen. 
Der Sicherheitscheck ist in Indien immer ein Erlebnis. Man weiß nie, was einem diesmal abgenommen wird. Hätte ich eine Kokosnuss dabei, sie würde mir eingezogen werden. Darf man nicht. Weder im Handgepäck noch im Koffer, E-Zigaretten auch nicht. Das schmerzt schon mehr, hat meine deutsche Kollegin getroffen. Powerbanks kann es auch erwischen. Sogar Streichhölzer werden konfisziert. All das Abgenommene Gut eines Tages muss eine beträchtliche Anhäufung an elektronischem, entzündlichem und essbarem Gut sein. Was passiert damit? Wird es gespendet, versteigert, zwischengelagert? Vor mir schimpft ein Tourist, was sie ihm genommen haben, kann ich nicht sehen. Ich hoffe, es ist nicht die Würde. Im Flieger dann das reinste Schreikonzert. Brüllorgien von gleich mehreren Kleinkindern alle in meiner direkten Umgebung. Wäre ich nicht schon so lange in Indien, ich hätte nebenbei nicht "Den Gott der kleinen Dinge" fertig lesen können. Der Monohar-Flughafen ist erstaunlich neu, freundlich und das Förderband erfreut mich auch recht bald mit meinem Koffer. Nur ist es nicht der Flughafen, an dem ich glaubte anzukommen. Es ist der GOX nicht der GOI. Der Flughafen Mopa in Monohar ist vom alten in Dabolim circa 60 Kilometer entfernt. Das erinnerte mich schlagartig an mein Norwegen-Taxi-Erlebnis. Da musste ich vom "normalen" Oslo-Airport so schnell wie möglich zum "Ryan-Air-Airport Oslo" und das kostete mich 400 Euro (ging aber immerhin gut). Diesmal ist der Schaden geringer. Denn mein Hotel ist zwar in Dabolim, aber die Fahrt kostet mich nur umgerechnet 20 Euro und ich seh schon mal allerhand von Goa by night. 
Als wir dann mal in eine dunkle Seitenstraße abbogen, es kurvig bergauf ging, erstaunlich wenig zu sehen war, außer Bäume und Büsche, das Navi aber behauptete, dass wir in wenigen Minuten am Zielort ankämen, wurde mir kurz etwas mulmig. Dann aber erreichten wir wieder so etwas wie einen Ort, die Straße war eine Buckelpiste, nein, eine einzige Baustelle, so auch der Ort, der vermutlich Dabolim ist, und nichts zu bieten hat, außer den Flughafen. Der freundliche Taxler findet das "Argo by Trance", ich am selben Abend im ganzen Ort allerdings keinen Platz mehr, wo ich einen Absacker hätte trinken können. Im Hotel, das sehr okay ausschaut, wird kein Alkohol serviert. Aber immerhin. Ich habe ein ordentliches Zimmer mit Balkon und Blick auf Palmen, Pool und Brunnen. Meer ist hier natürlich weit und breit keines, aber wer mehr will, als bloß schnell raus aus der Stadt, muss halt auch mehr Zeit investieren, um endlich am Meer anzukommen. Das werde ich. Versprochen.

Fotos sind leider grad nicht möglich. Das Internet ist so instabil, dass es mich bei jedem Hochladversuch raushaut - nervig und auch schade.

Toleranzverdikt

 

Essensausgabe im Sikhspeisesaal
Endlich vier Kühe auf der Stadtautobahn gesehen: große, schwarze, prächtige Exemplare. Sie teilten den Verkehr, wie Moses das Meer. Dann eine "Anti-Smog-Gun", eine Art Schneekanone, die Wasser auf die Straßen feuert - ein Tankwagen und dahinter ein Anhänger mit mobiler Anti-Smog-Gun. Eine Maßnahme der Stadtregierung für den Smog. An dem ja nicht der Verkehr und das generelle 30 Millionen-Großstadtleben schuld ist, sondern das Verbrennen der Felder in den Kornkammern rund um Delhi. Das sei vor allem im November so. Deshalb lohnt auch ein Tagesausflug nach Agra nicht: Taj Mahal gestrichen. Wenn ich den Tempel eh nicht gscheit sehen kann, warum dann die Mühen in kauf nehmen? Besser eine Buchhandlung besuchen und zwar die erste, die es in West-Delhi gab und West-Delhi hat immerhin fast so viel Einwohner wie Österreich. "MAYday. LeftWord Books" wurde in den 1980er Jahren gegründet und baut auf lokale Organisation. Man widersetzt sich der Gentrifizierung und veranstaltet Kindertheater, verkaufte neue und gebrauchte Bücher, Kaffee und ist deklariert links. Einer der Mitgründer erzählt von den Anfängen und Anfeindungen und bewirkt, dass wir alle ordentlich einkaufen. Hab jetzt ein Buch von Namdeo Dhasal "A Current of Blood" - das scheint mir, nach dem ersten Reinblättern, so etwas wie Spoken Word Poetry zu sein. 

Ein Sikh in blauem Flecktarnanzug und dazu passendem Turban radelt auf einem neonfarbenen Mountainbike an mir vorbei. Ob er seinen Dolch dabei hat, seinen Kamm? Wo ist blau eigentlich die richtige Tarnfarbe - im Meer? Die Sikhs sind ja spannend. Die machen alles anders. Der Gründer war geborener Hindu, aber mehr vom Islam geprägt, lehnte die Rituale der anderen Religionen ab und machte sein eigenes Ding. Im Sikhismus sind Mann, Frau und Menschen aller Schichten gleichwertig - das ist ja schon mal was. Es wird an einen allwissenden Gott geglaubt (nicht die allwissende Müllhalde). Dass diese Religion vor allem Zuspruch von gesellschaftlich Benachteiligten fand, ist nachvollziehbar. Im Zuge der Delhi-Tour besuchten wir natürlich auch einen Sikh-Tempel (Gurdwara Bangla Sahib). Das war ein ganz bezauberndes aber auch sehr verstörendes Erlebnis. 18 Stunden Live-Musik und Übertragung des Ganzen im Netz, da wird fröhlich einlullend getrommelt, gezupft und gesungen. Wir Touris latschen barfüßig durch die Andächtigen durch und (zumindest ich) kommen uns komisch vor. Fotos zu machen, ist nicht erlaubt, weil - der Grund ist interessant - es respektlos wäre, wenn dann welche der Fotos gelöscht würden. Nach dem Tempelbesuch und dem Blick auf das - ich sag mal salopp - heilige Wasser, wird man eingeladen, durch den Speisesaal und sogar in die Küche und die Vorratsräume zu gehen. Denn in diesem Tempel wird täglich Essen für Hunderte (gar noch mehr) gekocht und gratis ausgegeben. Niemand wird gedrängt, dafür zu spenden, aber die Donation-Boxes sind gut sichtbar aufgestellt. Es ist wirklich beeindruckend, zu sehen, wie hier freiwillige ihren Küchendienst machen. Das Wenden der Fladenbrote auf der heißen Herdplatte hatte etwas spielerisch Leichtes. Ich verließ den Tempel und die Sikh-Großküche mit einem positiven Gefühl. Fürs Essen stellten wir uns nicht an, wir hatten schon gegessen - Streetfood - köstliche Momos.
Wenn wir schon bei Religionen und Tempel sind. Der Lotos- oder auch Lotustempel katapultierte mich gleich mehrfach zurück in die Kindheit. Die Lotus-Abziehbilder waren immer besonders schwierig zu kriegen. Die Abziehbilder des englischen Sportwagensherstellers waren rar in der Panini-Sticker-Sammelalbum-Gemeinde. Und dieser an das Opernhaus in Sydney erinnernde Lotustempel in Delhi war auf der Weltreise-Städtekarte von Sydney. Weltreise spielten wir gerne. Da gab es Kurzstrecken- und Langstreckenflüge von Hauptstadt zu Hauptstadt und jede Stadt präsentierte sich mit einem Wahrzeichen. Neu Delhi mit dem Lotustempel der Bahai, der in den 1980er Jahren gebaut wurde (Architekt: Fariburz Sahba) und dann gleich Wahrzeichenstatus innehatte (zumindest für die Weltreise-Spielmacher). Dass da potente Geldgeber dahinter waren, ist eh klar. Die Religion der Bahai ist ers 1844 im Iran gegründet worden und war an sich eine super Sache: Toleranz allen Religionen gegenüber, alle Bücher der großen Religionen werden studiert und respektiert. Aber Anhänger hat diese Religion nur eine Handvoll. Unser Guide behauptete, dass Geld wäre aus Israel gekommen. Reingehen kann man in den Tempel aktuell nicht - Baustelle. Reingehen konnte ich auch ins Lal Quila (Red Fort) nicht, da gab es unlängst einen Bombenanschlag. Ja, religiös motiviert. Schon interessant, dass sich die toleranten Religionen nicht durchsetzen können. Genug der Tempelkunde. Vorerst.