Samstag, 29. Dezember 2018

On the rail again


Ja, ich schiffe gerne in den Almsee in Oberösterreich und selbst wenn ich das nicht wirklich tue, freu ich mich, dass mir die ÖBB diese Vorstellung ermöglicht und mich von einem zugigen Scheißhaus kurzzeitig in eine wildromantische Idylle entführt und eben in den Almsee eintauchen und mit diese – qua Urinstrahl – gar Verbindung aufnehmen lässt. 
Ich scheiß aber auch gern auf Sölden.

Und ich steh auf die Österreich-Card. 2018 war wieder ein intensives Zugjahr. Ich kann aber dennoch nicht behaupten railjetlagged zu sein. Ich bin kaum zu spät angekommen, gelegentlich zu spät heim, hab kaum keinen Platz bekommen, gelegentlich war's eng. Es hat mir nie wer auf die Füße gekotzt, einen Kaffee aufs Auftritts-Shirt der nächsten drei Tage geleert oder das Gepäck geklaut. Ich durfte die happy hour von Prag nach Wien gezapftes Budweiser trinkend genießen und probierte mich durch die DON Speisekarte, ohne gröbere Schäden davon zu tragen, weil ich diese - um wieder zum Anfang dieses Eintrags zurück zu kehren - stets vor (dem stillen) Ort ließ und eben mit Genuss in die jeweilige Landschaft pfefferte. 
Danke ÖBB! Auf viele zukünftige Kilometer und Entleerungen. Schönes neues 2019.


Samstag, 22. Dezember 2018

Die Babelfischfarm der hyperrealistischen Hyperbel

Ein beliebter Schlachtgesang lautet: „Immer wieder Österreich“. Helmuth Schönauers aktueller Roman trägt den Titel: „Nie wieder Tirol“. Das ist eine Ansage. Der Untertitel lautet: „Fahren Sie weiter! Es gibt nichts zu sehen!“ Die Gattungsbezeichnung: „Kampf-Roman“. Damit ist schon sehr viel gesagt, quasi: Immer wieder nie wieder Tirol und zwar in 15 Entladungen (Dick-, Dünn-, Mast- und 12 Fingerdarm = insgesamt 15).
Wer Literatur von HeSchö kennt, weiß: Auch derb muss sein. Offen wie ein künstlicher Darmausgang ist diese Prosa. HeSchö demonstriert, dass Locker-Room-Talk für Tiroler nichts anderes ist, als locker rumreden. Sei's im Landtag, sei's in der Literatur und der aktuelle Fall des SPÖ-Vorsitzenden Dornauer beweist, wie treffend die bewusst übertriebene Literatur HeSchös im Kern eigentlich ist. Da bleiben die Formulierungen oftmals in der Horizontalen und kommen nicht recht auf, prangern aber genau diese Ausdrucksweise damit auch an. Ja, Literatur ist ein Spiegel. HeSchös Literatur ist kein gesellschaftlicher Schminkspiegel sondern ein kollektive Darmspiegelung.
Werner Schwab hat einen Essay mit dem Titel „Der Dreck und das Gute“ geschrieben. HeSchös Literatur ist sehr sekret- und körperabriebaffin und immer geht es um alles, um alles, was scheiße ist. Tagespolitik gehört da naturgemäß dazu. Von Missständen im Festspielhaus Erl, über Mist in diversen, geförderten Startup-Zentren, bis zum Stau an allen Fronten: Kopf, Grenzen, Genitalien. Der Verkehr wird als Grundproblem entlarvt. Zuviel Verkehr da – zu wenig Verkehr dort. Und wenn sich so viel anstaut, dann muss es irgendwann explosiv raus. HeSchös Grundstilmittel dafür: die Hyperbel. Die Hyperbel könnte auch eine Figur in HeSchös Romanen sein. Sie könnte beispielsweise in einem zu Tode tourismus-terrorisierten Seitental japanische Schlafschachteln vermieten. Und HeSchö ist hyperrealistisch, nichts ist ganz aus der Luft gegriffen (Darf ich mir einen Roman mit dem Titel „Die Babelfischfarm der hyperrealistischen Hyperbel“ wünschen?). Alles, was er thematisiert, schwirrt schon in der Luft, stinkt schon längst und gehört ausgesprochen. HeSchö speibt's gern raus. Er ist Katalysator. Das müssen nicht alle mögen. Man kann es aber auch so sehen. HeSchö greift für uns ins Klo und wir können uns an seiner Literatur abputzen.
Endlich ist die Schranzhocke literarisch verewigt, endlich hat auch mal jemand über Reutte geschrieben, endlich hat das Bergisel Museum eine entsprechende Würdigung erhalten. HeSchö prangert den Landausverkauf gleichermaßen an wie die Ausbeutung von temporären Arbeitskräften im Bio-Radieschen-Ernteeinsatz in den Thaurer Feldern. HeSchö hat seinen Spaß an der Vorlass-Kisten-Bearbeitungs-Germanistik und der Verzwergung der heimischen Verlage. Wir lernen, was es bedeutet, einen Felix zu machen und wie das Klier-Aquarell-Lebensmodell funktioniert. Und weil HeSchö immer auch Bibliothekar und Literaturvermittler ist und bleibt, gibt es am Ende eine leser_innenfreundliche Thesenstraffung: „Dieses Buch macht Ihnen ein Angebot für den günstigsten, erlebnisreichsten und witzigsten Urlaub, den Sie je erlebt haben. Bedingung: Sie dürfen nicht nach Tirol fahren!“
Wer brav über sein Land schreibt, darf zur Belohnung Gebrauchsanweisungen, Reiseführer oder gar Kolumnen in offiziellen Tirol-Magazinen verfassen. HeSchö schreibt seit Jahrzehnten über Tirol (was die Kontinuität betrifft also sehr, sehr brav) aber niemals inhaltlich brav und das ist gut so, denn brav und gut und harmlos ist schon so vieles. Nie wieder brav! Immer wieder Schönauer.

Helmuth Schönauer
Nie wieder Tirol
Edition BAES 2018