"Man hört ja so Sachen, und am Ende waren's immer die Netten.", schreibt Ronja von Rönne bzw. ihre Heldin Nora bereits auf Seite 11 in ihrem Romandebüt "Wir kommen" (Aufbau 2016). Man hört ja seit einem Jahr so allerhand von RvR. Sie deklarierte sich als Egoistin - nicht als Feministin. Machte mit provokanten Blogeinträgen und journalistischen Beiträgen für die Welt auf sich aufmerksam, war 2015 auch beim Bachmannpreislesen mit dabei, fiel da zwar durch, aber eben auch auf, weil sie einen eigenen Tonfall hat. Weil sie keine Scheu vor gar nichts hat und weil sie pointiert böse formulieren kann. Ob sie eine Nette oder einfach eine gut auf den Literatur- und Feuilletonbetrieb Vorbereitete ist, sei vorerst einmal dahingestellt. Jedenfalls scheint sie einen Gesamtplan zu haben und in diesem Plan war jetzt der Debütroman dran. "Wir kommen" also. Klingt nach einer Drohung ist aber im Text, auf einer Party einfach die Antwort auf die Frage: "Gehen wir?" Wer fragt, wer geht, wohin?
Es geht um eine experimentelle Viererpack-Beziehung: Nora, Leonie, Jonas und Karl + Kind von Leonie: Emma-Lou. Emma-Lou schweigt trotz ihrer 5 Jahre. Sie hat ihrer Welt nichts zu sagen. Nora schreibt, das hat der Therapeut empfohlen. Von dem bekam sie ein Notizbuch mit Streichholz vorn drauf inklusive englischem Wortspiel ("it's a match"). "Ich habe genickt. Das kann ich gut.", schreibt Nora (S. 12). Und natürlich kann sie auch das aufschreiben gut. Sie konzentriert sich auf Details und gibt sich sprachlich motivierten Auseinandersetzungen hin. "Ich bin eifersüchtig auf jeden Gegenstand mit einem weiblichen Artikel. Die Marmelade. Die Tür. Alles Schlampen." (15)
Nora weiß, was sie macht, was kein Grund ist, es nicht zu machen. "Meine Gedanken sind nicht gut, und meist folgen ihnen Taten. Und den Taten dann Probleme." (38) Selbsterkenntnis schütz nicht vor Problemen!
Sie deckt Marotten der Pärchensprache gnadenlos auf, sie treibt ihre Analysen schön auf die Spitze. So steht dann beispielsweise am Ende einer längeren Betrachtung das Einkaufsverhalten der Menschen im Kaufland betreffend: "Wahrscheinlich bricht das ganze System zusammen, wenn Putengeschnetzeltes nicht im Angebot ist." (30)
Die Heldin ist in Therapie, weil sie mit nächtlichen Panikattacken zu kämpfen hat. Ihre Kindheitsfreundin Maja - die angeblich gestorben sein soll, so hebt der Text übrigens an - hat auch so ihre Probleme, aber war vor allem für alles zu haben und wusste sich immer zu helfen: "Rausgehen hilft gegen Angst vor Rausgehen." (41) Wie wahr!
Und warum ist diese Generation so? Hat das epigenetische Gründe? "Das Unglück liegt in der Verfügbarkeit von Alternativen." (102)
Ja, diese Leute haben alles, aber sie haben eben auch neue Probleme "die vage Langeweile unserer sandigen Leben." Kleinigkeiten werden Katastrophen. Moral muss nicht sein. Nora arbeitet als Moderatorin der Fernsehsendung Super-Shopper. Karl schreibt Sachbücher (u.a. über das Glück: "Es ist unfair, dass ich ohne Talent unglücklich bin, während er damit Geld verdient." 98). Jonas ist Grafikdesigner für eine Werbeagentur. Leonie lächelt, ist schwarz und bringt Multikulti-Touch in die Viersäulenbeziehung.
Der Plot ist einfach aber auch einfach gar nicht so wichtig. Nora notiert. Das Beziehungskonstrukt wackelt. Die Krise wird bekämpft, indem man sich in ein Strandhaus zurückzieht und weitgehend auf Smartphones verzichtet. Dazwischen ploppen immer Maja-Geschichten auf und der Tod schwingt im Hintergrund. Etwas Verbindendes für die Gemeinschaft wird gesucht. "Hauptsache ein Uns." (74)
"Plotlos unglücklich" wäre eine gute Überschrift für einen Verriss. Und Verrisse wird es geben und hat es schon gegeben (Klaus Nüchtern im Falter z.B.). Aber man kann einfach auch eine Freude daran haben, wie Nora den Metaphern misstraut, wie sie Verhaltensmuster demaskiert und ihren Schreibprozess permanent hinterfragt. Das ist Sprachskeptizismus NEU mit ordentlich Humor und vielen schönen Sätzen.
Christian Kracht wurde für "Faserland" vor 20 Jahren auch nicht nur geliebt. Ronja von Rönne mag zwar grad zu viel Thema sein in Medien aller Art, aber sie hat es offensichtlich geschafft, das nächste Level in ihrem Spiel mit den Marktmechanismen zu erreichen. Dass es nach wie vor so einfach ist zu provozieren, überrascht zwar, aber gut, besser Empörung als Ignoranz.
Man muss "Wir kommen" einfach nicht als Drohung auffassen, dann kann man sich an vielen Bonmonts erfreuen und darauf freuen, dass RvR sicher noch viele aufregende Bücher schreiben wird. Ich jedenfalls hatte meinen Spaß.
Freitag, 18. März 2016
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