Mittwoch, 26. November 2025

Toleranzverdikt

 

Essensausgabe im Sikhspeisesaal
Endlich vier Kühe auf der Stadtautobahn gesehen: große, schwarze, prächtige Exemplare. Sie teilten den Verkehr, wie Moses das Meer. Dann eine "Anti-Smog-Gun", eine Art Schneekanone, die Wasser auf die Straßen feuert - ein Tankwagen und dahinter ein Anhänger mit mobiler Anti-Smog-Gun. Eine Maßnahme der Stadtregierung für den Smog. An dem ja nicht der Verkehr und das generelle 30 Millionen-Großstadtleben schuld ist, sondern das Verbrennen der Felder in den Kornkammern rund um Delhi. Das sei vor allem im November so. Deshalb lohnt auch ein Tagesausflug nach Agra nicht: Taj Mahal gestrichen. Wenn ich den Tempel eh nicht gscheit sehen kann, warum dann die Mühen in kauf nehmen? Besser eine Buchhandlung besuchen und zwar die erste, die es in West-Delhi gab und West-Delhi hat immerhin fast so viel Einwohner wie Österreich. "MAYday. LeftWord Books" wurde in den 1980er Jahren gegründet und baut auf lokale Organisation. Man widersetzt sich der Gentrifizierung und veranstaltet Kindertheater, verkaufte neue und gebrauchte Bücher, Kaffee und ist deklariert links. Einer der Mitgründer erzählt von den Anfängen und Anfeindungen und bewirkt, dass wir alle ordentlich einkaufen. Hab jetzt ein Buch von Namdeo Dhasal "A Current of Blood" - das scheint mir, nach dem ersten Reinblättern, so etwas wie Spoken Word Poetry zu sein. 

Ein Sikh in blauem Flecktarnanzug und dazu passendem Turban radelt auf einem neonfarbenen Mountainbike an mir vorbei. Ob er seinen Dolch dabei hat, seinen Kamm? Wo ist blau eigentlich die richtige Tarnfarbe - im Meer? Die Sikhs sind ja spannend. Die machen alles anders. Der Gründer war geborener Hindu, aber mehr vom Islam geprägt, lehnte die Rituale der anderen Religionen ab und machte sein eigenes Ding. Im Sikhismus sind Mann, Frau und Menschen aller Schichten gleichwertig - das ist ja schon mal was. Es wird an einen allwissenden Gott geglaubt (nicht die allwissende Müllhalde). Dass diese Religion vor allem Zuspruch von gesellschaftlich Benachteiligten fand, ist nachvollziehbar. Im Zuge der Delhi-Tour besuchten wir natürlich auch einen Sikh-Tempel (Gurdwara Bangla Sahib). Das war ein ganz bezauberndes aber auch sehr verstörendes Erlebnis. 18 Stunden Live-Musik und Übertragung des Ganzen im Netz, da wird fröhlich einlullend getrommelt, gezupft und gesungen. Wir Touris latschen barfüßig durch die Andächtigen durch und (zumindest ich) kommen uns komisch vor. Fotos zu machen, ist nicht erlaubt, weil - der Grund ist interessant - es respektlos wäre, wenn dann welche der Fotos gelöscht würden. Nach dem Tempelbesuch und dem Blick auf das - ich sag mal salopp - heilige Wasser, wird man eingeladen, durch den Speisesaal und sogar in die Küche und die Vorratsräume zu gehen. Denn in diesem Tempel wird täglich Essen für Hunderte (gar noch mehr) gekocht und gratis ausgegeben. Niemand wird gedrängt, dafür zu spenden, aber die Donation-Boxes sind gut sichtbar aufgestellt. Es ist wirklich beeindruckend, zu sehen, wie hier freiwillige ihren Küchendienst machen. Das Wenden der Fladenbrote auf der heißen Herdplatte hatte etwas spielerisch Leichtes. Ich verließ den Tempel und die Sikh-Großküche mit einem positiven Gefühl. Fürs Essen stellten wir uns nicht an, wir hatten schon gegessen - Streetfood - köstliche Momos.
Wenn wir schon bei Religionen und Tempel sind. Der Lotos- oder auch Lotustempel katapultierte mich gleich mehrfach zurück in die Kindheit. Die Lotus-Abziehbilder waren immer besonders schwierig zu kriegen. Die Abziehbilder des englischen Sportwagensherstellers waren rar in der Panini-Sticker-Sammelalbum-Gemeinde. Und dieser an das Opernhaus in Sydney erinnernde Lotustempel in Delhi war auf der Weltreise-Städtekarte von Sydney. Weltreise spielten wir gerne. Da gab es Kurzstrecken- und Langstreckenflüge von Hauptstadt zu Hauptstadt und jede Stadt präsentierte sich mit einem Wahrzeichen. Neu Delhi mit dem Lotustempel der Bahai, der in den 1980er Jahren gebaut wurde (Architekt: Fariburz Sahba) und dann gleich Wahrzeichenstatus innehatte (zumindest für die Weltreise-Spielmacher). Dass da potente Geldgeber dahinter waren, ist eh klar. Die Religion der Bahai ist ers 1844 im Iran gegründet worden und war an sich eine super Sache: Toleranz allen Religionen gegenüber, alle Bücher der großen Religionen werden studiert und respektiert. Aber Anhänger hat diese Religion nur eine Handvoll. Unser Guide behauptete, dass Geld wäre aus Israel gekommen. Reingehen kann man in den Tempel aktuell nicht - Baustelle. Reingehen konnte ich auch ins Lal Quila (Red Fort) nicht, da gab es unlängst einen Bombenanschlag. Ja, religiös motiviert. Schon interessant, dass sich die toleranten Religionen nicht durchsetzen können. Genug der Tempelkunde. Vorerst.

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