Donnerstag, 20. April 2023

Burgenland - eine fremde Welt

Es wird einem nicht einfach gemacht, nach Güssing zu kommen. Güssing ist im Nachbarland Burgenland. Da sorgt der Herr Doskozil für funktionierenden öffentlichen Verkehr, denkt man sich. 

So schwierig kann das nicht sein. Ist es aber doch. Wenn ich vor 10 Uhr 45 in Güssing ankommen will, was ich will, vereinbart ist die Sternlesung (#sternlesen #institutfuernarrativekunst) um 10 Uhr im BORG Güssing, dann müsste ich um 4:00 vier Stunden lang fahren: von Wiener Neustadt nach Oberwart, von dort nach Stegersbach, um dann schließlich um 8:14 Uhr im Schulzentrum Güssing aussteigen zu dürfen. Ich finde, das ist nicht zumutbar. Ich entschließe mich also, am Vortag schon anzureisen. Ich möchte den Ort ja auch zu spüren kriegen. 

Erste Challenge: Finde die Haltestelle am Matzleinsdorferplatz. Da ist grad alles eine einzige Baustelle und die Haltestelle ein improvisiertes Nichts im Nichts. Hinweise und Informationen sucht man vor Ort vergebens. Ich bin sehr früh dran und finde mich leidlich zurecht. Aber er kommt pünktlich, der Bus G1. 

Es ist ein Doppeldecker, er ist voller Schlafwilliger. Die Fenster sind verdunkelt, die Sitze im Liegemodus. Ich erwische den letzten freien Platz und will lesen. Bin ja immerhin auf Lesereise. Ein Buch hält hier aber kein Mensch in Händen. Die Menschen sind müde. Es sind Pendler*innen die wohl mindestens seit 4:00 Uhr auf den Beinen sind. Es ist ruhig im Bus: Kopfhörer und Nackenhörnchen Standardausrüstung. Es läuft immerhin kein Radiogedudel. Wir rollen stadtauswärts. 

Erste Windräder, letzte Möbellager, Shoppingcity Süd. Äcker, Felder, schüttere Wälder. Linkerhand Flachland, rechterhand Hügelchen. Jetzt aber im Schallschutzmauertunnel. Nur mehr Autos und LKWs zu sehen und im Himmel Starkstromleitungsgeflechte. Zeit, selbst die Augen zu schließen. Es gibt hier nichts zu Versäumen.

Nach 75 Minuten erster stopp im Park & Ride Schäffern an der A2. Geschätzte 100 PKWs warten auf ihre Lenker*innen. Die Einfamilienhäuser mit Garten, Garage und Zaun warten auch. Da eine bedienungslose Tankstelle mit Amazon-Abhol-Station - dort die üblichen Supermärkte mit großzügigen Parkplätzen. 


Ja, Österreich ist das Autoland schlechthin. Werde ich sie finden, die großen Inovations-Zentren für Nehammersche E-fuels? 

Vorerst sehe ich ein Schild mit Doppel-Ö: Felsöör. Ungarn muss nah sein. Stelle mir unter Felsöör ein sehr schroffes, gebirgiges Ohr vor. Aber Felsöör ist wohl einfach Oberwart. Wer weiß das schon?! 

Bausündenfallstudien an der Grazerstraße. Tore, Dächer, Steiinmetzeleien. Ein Gewerbegebiet mit einem Herzstück aus dem ältesten Gewerbe der Welt: A2 Laufhaus und rundum Hallen, Lager, Schauparks. Strangregulierung, Thermostatventile und Wärmepumpen. Sind Laufhäuser nicht auch nur Wärmepumpen?

Das Vitalhotel in Ollersdorf wirbt mit Leberspezialitäten und Steakwochen. 

Der Gurkenprinz ist in Stegersbach daheim. 

Am Straßenrand wird für die Erotik-Messe, die Schlagernacht und für Kürbiskernöl geworben. 

Um 17 Uhr komme ich in Güssing an. Güssing scheint kein Interess an nicht autofahrenden Gästen zu haben. Mein Hotel ist nicht im Zentrum.

Es hat die Adresse Europastraße an der Wienerstraße. Die Wienerstraße war wohl immer schon das Letzte und die Europastraße wurde wohl erst unlängst, im Zuge der Gemeindegebietserweiterung, erfunden. 

Das Hotel heißt Freiraum und erwaratet mich mit viel Landschaft.



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