Donnerstag, 16. März 2023

Kurzzeitausstieg im Stundentakt

 

4:30 Uhr: Das Klimaticket gilt schon mal nicht. Das ist zwar ein Postbus aber eine Ausnahme. VAL: Vienna Airport Service. Egal. Zahle gerne 9 € statt 40 fürs Taxi und rollkoffere zum Munterwerden zum Westbahnhof. Die Berufsmunteren sind klar von den Urlaubsmüden zu unterscheiden. Mögen die Müden erholt wieder zurückkomen. Ich bin einer der Müden. Ich fahre auf Urlaub. Spontan. Mit Robert. Jausensackerlgeraschel, verkabelt Kommunizierende, Schlafende, Vor-sich-hin-Starrende, Tablettiger, Kopfhörerabgekapselte und ein Notizbuchschreiber. Mach mich wach durch Rundumschau. Barcelona ich komme!

5:30 Uhr: Gepäck losgeworden, ohne Pieps durch den Körperscan, gönn mir Frühstückespresso und Banane from home. Glückt mir jetzt noch eine kompakte Stoffewechselproduktverabschiedung auf heimischem Boden, bin ich bereit für Barcelona.

6:30 Uhr: Kompaktes Glück war nicht – explosives sehr wohl. Die Allerglücklichsten aber scheinen grad Rauchende zu sein. Denn in den Rauchzellen – den Fumarien – herrscht ausgelassene Stimmung. Rauchen ist verbindender als Gassigehen. Gemeinsames Abaschen hat was Existenzialisitisches. Feuergeben ist die selbstverständlichste, alle Sprachbarrieren, sozialen Schichten und sonstige Differenzen überwindende Geste, die einfacher Solidaritätsakt bleiben oder gleich zu einem Gespräch führen kann. Schon allein deshalb kann sich rauchen lohnen. Sprich am Flughafen zu dieser Zeit sonst mal einfach so wen an – kommt akward bis creepy. Im Fumarium ist alles Schall und Rauch. Ein paar Züge lang ist alles leicht, sind alle gleich. Sucht verbindet. Am Wiener Flughafen sind die Glasboxen fröhlich bunt verpixelt, gewähren Einblick, bieten aber auch Sichtschutz. Der nichtrauchende Notierende staunt über die Frequenz und beneidet die Schicksalsgemeinschaft, die sich international mit Rauchzeichen verständigt. Es sind sehr erwachsene, erfahrene Rauchende. Alle verlassen ihren Versammlungsort mit einem Lächeln auf den Lippen, die wohl auch noch sanft brennen. Ein loderndes Lächeln nach einer kurzen Auszeit unter Gleichgesinnten. Schön eigentlich. Saufen ist aufwendiger. Die Effizienz von Zigaretten als gesellschaftliches Bindeglied gehört wieder mehr thematisiert. Das aber können nur Nichtrauchende machen, die Nutznieser*innen dieser letzten Bastion des beglückenden Kurzzeitausstiegs sind wohl nicht daran interessiert, Trittbrettrauchende anzulocken. Apropos beglückender Kurzzeitausstieg: Barcelona, ich boarde!

7:30 Uhr: Fenster platz. Unter mir werden die Gepäckstücke ins Flugzeug befördert. Es rumpelt im Flugzeugbauch. Muss an Grönemeyer denken. Hinter mir hat ein Stinker Platz genommen. Noch riecht man das. Bald wird das Klima ein alles Überdeckendes und Verzeihendes sein. Furzen im Flieger war noch nie ein Problem. Der Schweißmann hinter mir setzt sich aktuell aber noch ganz schön durch. Die Koffer und Kinderwägen sind verstaut. Das Förderband-Fahrzeug schleicht sich ebenso wie der Gepäckstücktransporter, der einer Mini-Rangierlok gleicht und am Rollfeld von dannen gleitet. Die Reihen sind voll besetzt. Die Zustiegsschlange zeiht sich zurück. Es ist keine Röhre, es ist ein Kanal, ein Schacht, der sich zurückschachtelt, abdockt und nunmehr mit dem Andockelement in der Luft hängt. Die AUA-Strauß-Klänge sind vom Klimaanlagengesurre unterlegt – Symphonieorchester mit Stausaugergebläse. Hinter dem dem benachbartem Flieger flirrt die Luft bereits. Die Turbinen sorgen für Wirbel. Habe Blick auf die Flügel und schon parkt ein ankommendes Flugzeug. Die Räder werden ganz old school mit gelben Pflöcken verkeilt. Die Schlange kommt wieder aus ihrem Nest und schmatzt sich um den Ausstieg. Das Gepäcksförderbandfahrzeug ist auch wieder zu Stelle. Der Tankwagen ebenso. Unter dem Hinterausgang wird angezapft. Wir verrollen uns rückwärts. Der Schwitzer ist immer noch zu riechen. Jetzt schnarcht er auch noch. Es folgen die Sicherheitsanweisungs-Demonstrationen der Flugbegleiter*innen. Es war echt mal, cool Schwimmwesten aus Fliegern mitgehen zu lassen. In unserem WG-Klog hing eine. Ready for take off! Barcelona, ich fliege!

8:30 Uhr: Die Schweiz von oben ist ein Juwelierladen voller edel weiß gekörnten Bergketten. Da und dort hingeworfene Häuserhäufchen. 

9:30 Uhr: Die Schneespitzen werden weniger, die Besiedlung dichter. Plötzlich ein Becken. Der Flieger wird ganz schön gebeutelt: unruhige Luft und kein Frühstück, nur Wasser und ein AUA-Schokoladentaler. Wo sind wir? Ist das schon Frankreich? Leider keinerlei Informationen vom Chefpiloten und auch keine Monitoren. Schade. Sehe so viel und kann es nicht benennen. Die Landschaft wird immer weicher, die schneebedeckten Berge rücken immer mehr in die Ferne. Unter mir jetzt auch schon Küstenstädte. Landeanflugslautstärke. Wir kreisen über dem Meer, fahren das ganze Rollfeld ab: Straußgedudel am Asphaltparkett. AUA-Flieger auf Parkplatzsuche. Barcelona, willst du mich nicht?

10:30 Uhr: Sitze im Zug, stehe in der Pampa. Aber Barcelona in Sicht!

11:30 Uhr: Sitze mit Espresso in der Sonne. Rund um das Hotel sitzen lauter Jugendliche am Boden. Das ist hier nicht automatisch eine Protestaktion. Es ist warm genug, am Boden zu sitzen. Alle tragen Sonnenbrillen. Ich auch. Alle schauen auf ihre Smartphones. Ich abwechselnd in dem Baedeker und den Marco-Polo-Reiseführer. Die große Faltkarte habe ich noch nicht ausgepackt. Trau mich nicht. Ich find mich auch so in dir zu recht: BARCELONA.


 

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