Mittwoch, 19. November 2025

Long Night of Literatures Kolkata 2025

Es ist unmöglich, in einem Blogbeitrag festzuhalten, was man hier in fünf Minuten alles sieht. Fotos machen hilft nicht. Für Fotos hat man keine Zeit, keine Gelegenheit, wenn man von der Masse weiter geschoben wird. Oft ist es auch einfach unangebracht und wenn man sich irgendwo aufhält wo nicht Massen unterwegs sind, dann hat man da eh nichts verloren und soll besser wieder zurückkehren in den Strom, der sich was weiß ich wohin bewegt. 
Hab grad mal wagemutig mehrere sehrsehrsehr stark befahrene, mehrspurige Straßen überquert, in der Hoffnung das Gelände vom Fort William betreten zu können, das aber war militärisch abgeriegelt und streng bewacht und die martialischen, Krieg verherrlichenden und dafür werbenden Bilder, doch dem Indischen Staat als Soldat zu dienen, waren ohnehin abschreckend genug. Zu Fuß war da kaum mehr wer unterwegs, da und dort lagen schon noch Menschen und Hunde, aber als dann aus dem halbwegs Grünen plötzlich eine Müllhalde wurde, wo Menschen drinnen saßen und was weiß ich was aussortierten, war mir klar, hier habe ich nichts mehr verloren und machte wieder kehrt. 

Mein fünfter Tag in Kolkata, mutig sein ist schon okay, Übermut aber spar ich mir. Der Tag wird noch anstrengend genug. Heute geht es weiter nach Delhi. Gestern war die Lange Nacht der Literatur im Goethe Institut, das hier als Max-Mueller-Bhavan-Institut bekannt ist, was mit dem Sprach- und Religionswissenschaftler Max Mueller zu tun hat, der zwar nie in Indien gewesen ist, aber den Rigveda übersetzt und Biografien von Persönlichkeiten der Bengalischen Renaissance veröffentlicht hat. Jedenfalls wurde das mit der Langen Nacht sehr wörtlich genommen. Es waren 11 zwanzigminütige Lesesessions geplant, dazwischen sollte es zwei längere Pausen und jeweils fünfminütige Pausen zum Wechseln der Räume geben, denn alle Autor*innen haben einen Raum zugeschrieben bekommen und das Publikum war eingeteilt in Gruppen, die mit Farbpunkten von Aqua bis Mastard als Erkennungszeichen ausgestattet wurden und so von Lesestation zu Lesestation wanderten. Klingt nach einen ziemlichen Zumutung, war es auch, zumal nach den jeweiligen 20 Minuten stets eine Schar von Menschen auf einen zu kam und unterschiedlichstes wollte: vom Autogramm angefangen, über Selfies bis zum Abladen von persönlichen Geschichten und Coaching-Tipps fürs eigene Schreiben, war da alles dabei und die nächste Gruppe schwappte da schon immer teilweise in den mir zugeteilten Raum "München". Im Raum "München" hing natürlich ein für die Stadt werbendes Plakat mit vergnügten Menschen, die Bier aus Maßkrügen tranken. Es hing auch eine Deutschlandkarte und ich konnte immerhin zeigen, wo ich geboren wurde, denn Reutte war noch drauf. 
Die längeren Pausen waren im Grunde weniger Erholung, denn da drängte sich alles am Buffet, einen Rückzugsort gab es nicht. Dass ich neun Sessions durchstand, ist eigentlich ein Wunder. Bereits nach dem ersten Dreierblock gab es Meutereitendenzen, es wurde zähnerknirschend von der Leitung des Hauses immerhin auf 9 verkürzt. In der neunten Session hab ich mich irgendwann mal in einem Loop aufgehängt, will heißen: Ich war mitten im Text "Du da" und merkte plötzlich, dass ich grad die zweite Strophe anstelle der vierten wiederholte und mir dachte "Hoppala", ich skipte dann, dachte mir "Wiederholung kann nicht schaden", dachte mir "Erholung aber auch nicht", beamte mich ins Plakat der glücklich Biertrinkenden, beendete danach mein Programm und freute mich auf das Feierabendbier.

Anstelle von  Bier gab es beim Empfang danach süßen Wein. Ist ein Goethe-Institut ohne Bier bei einem offiziellen Empfang noch ein Goethe-Institut?, fragte ich mich. Indisches Essen in mich schaufelnd, um wieder halbwegs auf die Beine zu kommen, wurde mir berichtet, dass einige Autor*innen schon früher das Handtuch geworfen haben, manche aber standen noch wacker rum, als ich nachdem ich der Institutsleiterin ein DUM "Hagel", ein "Ganz schön frech" und ein "Zurück in die Herkunft" für die Bibliothek überreicht hatte, gegen 22:30 Uhr Richtung Calcutta-Bar (Kingfisher Bier) das Max-Goethe-Bhavan-Institut-Mueller leicht verwirrt verließ.

Ehrlicherweise muss man sagen, das Format reihte sich nahtlos ein in das Stadtgeschehen. Es war so irre, wie Kolkata ist und insofern vermutlich das für das Publikum passende. Für die Autor*innen war es natürlich nach der dirtten Session nicht wirklich mehr ein Spaß. Aber ich bin ja nicht nur zum Vergnügen hier (auch wenn der Blick aus dem Hotelzimmerfenster danach ausschaut). 

3 Kommentare:

  1. ich bin die vicky und amüsiere mich wenn unser installatör aus der schnellen truppe von der geschwindigkeit indiens überholt wird. ein glück dass du bier trinkst...halte durch

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  2. wie unterstützen das beamen mach dem skippen. Grüße aus dem off :)) yannick

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    1. haha oh mein gott, mehr vertipper als wenn ich mich ins münchen plakat gebeamt hätte...

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