In Frankfurt das Paradies (Frauen!) - zuhause das Gesetz!
J ist fasziniert von technischen Dingen, beobachtet gerne Baustellen, Heino und sein VW Variant (den er vorwiegend dafür hat, um Botendienste für die Familie zu erledigen) machen ihn glücklich und im Wald oder in einer Wirtschaft fühlt er sich wohl. Dazugehören ist die Sehnsucht seines Lebens und wenn er in diversen Gasthäusern einkehrt und anderen etwas zahlt, fühlt er sich dazugehörig. J spricht in der „Wetterauer Geniesprache für eingebildete Ingenieure“ (S. 27). Das heißt, er hat ein Faible für Superlative, würde gerne Fachsimpeln können, ist aber nichts weiter als die „Wunde der Familie“.
Heimatfilme und Bergrettung, Jäger und Frauen sind die großen Leidenschaften des Onkel Js, dessen Leben neben der Sehnsucht auch von der Ehrfurcht geprägt ist und vom Warten. „Immer hatte er gewartet. War niemand da, war er wie abgeschaltet, ausgenommen im Keller, ausgenommen im Wald,“ (S. 61)
Andreas Maier stellt sich einen Tag im Leben seines Onkels J vor und bricht seine Beschreibungen immer wieder mit der Thematisierung seines Tuns. „Ich stelle mir vor...“ Und dadurch wird eine ganz eigene Atmosphäre geschaffen. Eine besondere Nähe zwischen Erzähler und Figur. Das ist zwar ein simpler aber äußerst wirkungsvoller Trick. Er wählt einen Herbsttag im Jahre 1969 blickt vor und zurück und kommentiert gleichzeitig die gesellschaftlichen Veränderungen. Es ist dies die Zeit des „großen 'noch'“. Man rauchte noch – immer und überall – man trank noch – so gut wie immer und überall – beides gerne auch in der Arbeit. In die Arbeit ging man noch mit Brotzeitdosen und Thermoskannen. Die Frauen tragen noch Kittelschürzen, die Kinder schlachten Meerschweinchen und auf der Kaiserstraße kommt langsam richtig Verkehr auf, sodass alle auf einmal an das Wort „Ortsumgehung“ denken müssen (So lautet übrigens auch der Arbeitstitel eines groß angelegten Zyklus. Das Zimmer ist davon der erste Teil.).
Es wäre leicht, diese Onkel Figur verächtlich darzustellen, so wie es für den Erzähler und seinen Bruder leicht war, den Onkel zur „Weißglut“ zu bringen, doch Andreas Maier liegt vielmehr daran, den Choleriker, Stinker und Kellergeist den Lesenden so näher zu bringen, dass ihn diese mit Fortlauf der Geschichte regelrecht lieb gewinnen müssen. Denn wirklich große Dummheiten begehen ja andere. Maier hebt die Gemeinsamkeiten zwischen Onkel und Erzähler hervor, beide Außenseiter im Dorf, beide naturverbunden. Darüber hinaus geht es in Das Zimmer um die Brutalität der menschlichen Natur, um die sukzessive Zerstörung der Heimat und Umwelt und dass Onkel J da nicht mit macht, ist eine seiner großen Qualitäten, da ist er frei von Schuld. Wenn denn Heimatdichtung als Genre eine Belebung notwendig haben sollte, dann bitte so!
Andreas Maier: Das Zimmer (Suhrkamp 2010)
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