Dienstag, 25. September 2012

Herzschrittmacher

Gedichte düfen alles, sie dürfen einen nur nicht kalt lassen. Rock 'n' Roll des Herzens von Josef K. Uhl und 111 Gedichte also, quasi 111 beats per book. Rock 'n' Roll ist ja an sich eher eine Lendensache, dieser R'n'R, diese Gedichte sind aber wohl anders. Das ist gut, denn jedes Herz schlägt und jedes Hirn tickt anders. Leider hat dieses lyrische Herz allerdings immer wieder arge Aussetzer. Oft ist dieses Buch dem Herzinfarkt nahe (die Grade eines Buchinfarkts reichen von "Weglegen" - relativ normal, kommt bei den besten Büchern vor - bis zum "Wegschmeißen" - eher selten. Aber immer kurz vor dem Riss des Lesergeduldfadens macht dieses Herz dann doch wieder "pieps". Unter den ersten 59 Gedichten haben "Gute Nacht" und "Naturtrüb" diesen positiven Pieps. Dazwischen möchte man den Inhaber dieses Herzens wahlweise ohrfeigen, bemitleiden oder in die "Schäm dich Ecke" zitieren. Da wimmert die Lust erbärmlich, da knirscht's morsch im lyrischen Gebälk und wenn gereimt wird, hängt es einem Hirn und Hüften gleichzeitig aus. Das tut weh. Vertwistet sagt man dazu wohl in R'n'R Kreisen. Aber was soll's. Manchen Dichter_innen reichte ein gutes Gedicht, um sich ein Leben lang nicht verkannt und missverstanden zu fühlen. Und ja, auch in diesem Haufen Herzscheiße stößt man auf Gold, Geduld vorausgesetzt.

Samstag, 22. September 2012

Ohne weitere Worte

Jenny Holzer, City Hall Park, New York

Freitag, 21. September 2012

Im großen Apfel

Hier brennt Hanno am Times Square. Unsere Fußsohlen brennen auch, aber die Waldviertler tun ihr bestes dagegen. NY is a walking city. Ja, eh. NY ist aber auch eine Literatur-Metropole. Drei Tage da (fast immer wach) und schon eine Salman Rushdie Lesung mit Diskussion besucht, beim Nuyorcian Poetry Slam 28,4 (10. 9,9. 8,5) Punkte eingeheimst und gestern T. C. Boyle gesehen, gehört und auch mit ihm gesprochen! (Foto folgt).
Abschließend ein praktischer Bierbestellungstipp: Wenn man zwei (nicht drei!) Bier bestellen will, unbedingt Zeige- und Mittelfinger verwenden, meinetwegen auch Mittel- und Ringfinger aber keinesfalls Zeigefinger und Daumen. Denn das - so ließ mich der Barmann wissen - "...is a gun! I've never seen that man!"
Mehr Heiteres über kulturelle Missverständnisse bald hier.

Mittwoch, 12. September 2012

Zeitweilige Zerwürfnisse

Du legst dich gerne quer, du legst dich gerne an
Du läufst nicht gegen Mauern, du lockerst Steine und machst was Neues draus
Zu groß ist dir dabei nichts, ohne einen Grundstein kein Forwärtskommen, sagst du
Du willst die Weltordnung durcheinander bringen und ein neues Weltbild malen
Welt: du blauer Planet, du vollgesoffene Kugel, du unterbelichteter Globus, sagst du
Welt: dein eingedepschter Schädel, deine Schräglage, dein gemächliches Eiern um die eigene Achse du bis überbewertet, sagst du
Du hast keine Angst vor großen Worten, Inhalten, Bedeutungen
Ach, Inhalte!, sagst du. Ach, Bedeutungen!, sagst du und ach, Worte!
Worte schießen nicht! Worte schließen vielmehr eine Lücke, lassen Stilblüten sprießen und wuchern mitunter.
Beispiele? Gerne: Da hätten wir beispielsweise die Allüren. Ja, über Allüren ließe sich trefflich was schreiben. ALLÜREN
Kaum Wörter die ähnlich klingen: Alü-Alü-Allürütuldjo
Alü-Alü-Salü Allüren: Abführen
Allüren erweisen sich nicht als ergiebig. Allüren geben nichts her. Allüren fordern ein, setzen voraus. Nachsatz: Allüren öffnen Türen NICHT! Allüren hat man wie Krankheiten. Aber gegen Allüren ist ein Kraut gewachsen. Es gedeiht am harten Boden der Realität, es heißt: Konfrontation und treibt Blüten der Ernüchterung
Ernüchterung ist auch so ein Wort.
Er-nüchter-ung! Hat was von Er-höre-uns!
Alü-Alü-Allüren-Ernüchterung erhöre uns, mich im Speziellen. Lass mich nicht abgehoben sein, erde mich, pflanz mich in den Lustgarten der Wortwucherungen, setz mich ein neben den Sprachzeitlosen und lass mich sprießen, lass mich heranwachsen zu einem veritablen Satzgewächs, einem um sich greifenden Textgeflecht das irgendwann dann wen erreicht, erfreut, erquickt. Lass mich einen überraschenden Schluss dieses Fragments finden:
Sorry Mann, hast du mal eben Allüren für mich?
Nein, tut Leid, ich allüre nicht.

Montag, 10. September 2012

Sprachfreiraum

Hier brennt Hanno auf einem Traktor, der bei der 14. Aicher Trophy dabei war. Ich war derweil auf der Hans Wödl Hütte und beschäftigte mich mit einem Kaspressknödel. Im Zuge des Verdauprozesses stieß mir Folgendes auf:
Es waren jetzt ja zehn Tage lang die Paralympics im Gang und vom Gang kommt man gleich in den Ganges oder aber zum Gehen. Dazu braucht es mindestens circa ein Bein. Schneller sind aber heutzutage die, die nur circa zwei halbe Beine haben. Denn daraus kann man mit wundervoll eleganten Bein- und Fußprothesen, rein von der Länge her, so in etwa zweieinhalb Beine machen und inst anderen dann um Nasenlängen voraus. Das schmerzt die Ein- und Wenigerbeinigen sicher. Dafür habe ich Verständnis. Ein einbeinbeeinträchtigtes Dasein zu führen, stelle ich mir schwierig vor. Wenngleich ich das Wort "Einbeinbeeinträchtigung" doch als großen Wortschatz empfinde. Vollends fürchterlich einerseits und wortwertvoll andererseits, wird es dann, wenn sich zum fehlenden Bein schmerzbedingte Pein gesellt, was dann im kaum mehr zu übertreffenden Wort "Einbeinpeinbeeinträchtigung" zum Ausdruck kommt. Alle Einbeinpeibeeinträchtigten auf Erden verdienen entsprechende Entschädigungen und die Sprache verdient mehr Freiraum. Mein Einbeinpeinbeeinträchtigungs-Abriss kann diesbezüglich durchaus als Vorschuss betrachtet werden.

Pilgerpöbel

Michael Stauffer hat unter anderem die Romane: „Haus gebaut, Kind gezeugt, Baum gepflanzt. So lebt ein Arschloch. Du bist ein Arschloch“ und „Normal. Vereinigung für Normales Glück“ geschrieben.
In letzterem gründet der Held eine Religion und deckt so die Mechanismen von derartigen Vereinigungen auf. Im neuen Roman „Pilgerreise“ lässt Stauffer seinen Helden Bela zur Läuterung zu Fuß gehen, bis die Füße schmerzen.
Bella ist ein skrupelloser Schriftsteller und Unterrichtender am Literaturinstitut, dessen Leidenschaft es ist, Grenzen aus zu loten. Das macht er in jeder Beziehung (Eltern, Schüler_innen, Partner_innen gegenüber). Zu recht wird er verlassen und gerät darob vollkommen außer Kontrolle und wäre da nicht sein Cousin: „Ich kann dich beruhigen, in meinem Weltbild gibt es durchaus Platz für Hilfe, die nichts kostet und von einem Teppich [mit dem Bela gerne spricht] kommt.“, Bela wäre wohl verloren.
Aber er findet für sich einen Ausweg: den Pilgerpfad. Bela lässt goldene Pilgervisitenkarten anfertigen, macht sich auf den Weg, schreibt fleißig Postkarten, lernt viele Menschen kennen, verschreckt einige davon und hat einen großen Plan.
Dass das Ganze eine bitter-böse Satire ist, braucht eigentlich kaum erwähnt zu werden. Wie trocken und unvorhersehbar Stauffer seinen Helden anlegt, ist allerdings äußerst bemerkenswert. Diese Pilgerreise gerät zu einem mitunter absurden, oft drastischen und immer höchst unterhaltsamen Trip. Fünf Wanderstöcke hoch!

Samstag, 25. August 2012

Griechische Symbiose

Ich bin ein Olivenbaum.
Ich souvlake den ganzen Tag rum.
Ich moussaka ins Meer und pastizio mich nichts.
Ich ouzo und fixe und im Wasser bin ich eine Nixe.
Ich bin auch ein Feta, bin aber magerer geworden vom vielen Schlafen, Sport und Wenigertrinken.
Ich habe noch drei Tage Frist.
Dann ist der Urlaub endlich vorbei und Sand wieder ein reines Kinderspielplatzthema und nicht in allen Ritzen. Apropos:
Über allen Ritzen war Ruh, unter dem Mosquitonetz waren ich und du,
und wir geschlechtsverkehrsrührten uns kaum bis nicht
Weil die Zimmerwand war nicht dicht
Nicht dicht wie auch wir nicht immer waren
in all den Jahren (um noch etwas abschließende Urlaubsendemelancholie ins Blogeintragspiel zu bringen)

Mittwoch, 22. August 2012

Putzbrigade


Ich bin der Putzfisch der Schmutzgesellschaft; ich bin die himmelblaue Saugbarbe der dukelschwarzen Gegenwart. Ich bin die Krake der kranken Tanten und der Orka der oargen Onkel; ich bin der Schwertfisch der Unglücksritter und der Goldfisch der schwarzen Schafe mit Pechsträhnchen; ich bin der Seeigel der Bequemlichkeitsfanatiker und die Feuerqualle der Brandblasenfadbarsche
Ich mach reinen Tisch – ich putz jeden Fisch – ich mach klare Sicht – ich freischnorchel dich
Ich polier dir die Hammerhaifresse; ich frisier dir die Schillerlocken; ich stutz dir die Welsbartl und weil sich auf Welsbartl sonst nichts reimt, erfind ich dir den Felsblockzartl; den Felsblockzartl flock ich dir aus und dem Tintenfisch saug ich für dich die Tinte raus; ich wiener dir den Karpfen bis er die Schuppen verliert; ich wasch dir die Moräne samt ihrer Zähne;
Ich mach reinen Tisch – ich putz jeden Fisch
Ich staubwedel dir den Stör, bis er seine Ö-Strichchen verliert und zum Stor, also zur reinen Gardine wird; ich spül dir die Regenbogenforelle bis ihre Farben verschwimmen; ich bring dir den Leuchtaugenfisch zum Glimmen, nein, zum Down-timmen seiner Blinker, damit man nicht so genau sieht, was noch alles zu tun wäre; ich blitzputzseeverteufel dich und mit einem Wisch ist alles weg

Samstag, 18. August 2012

Schmerbauchfleischauflauf

Affenhitze - Sturzbachschwitze - herdplattenheiß - Hektoliterschweiß fließt, strömt, flutet
Alles fließt, strömt, flutet nur ich hab Durst.
Ich bin sooooo durstig, sosososososo durstig. Ich kann's euch gar nicht sagen wiiiiie durstig. Weil mir nämlich die Zunge schon am Gaumen pappt wie ein jahrelang missachteter ehemals Flauschfaserwaschlappen.
Meine Kehle ist trocken, soooooo trocken, sososososo trocken, wie Zakynthos im August, wie überzeugter Asketen Lust auf Genussmittel. Wenn ich jetzt noch weiter sprechen muss, kriegt mein Kreislaufmotor einen Kolbenreibertotalschaden und mein interner Ventilatorrotor einen hy-hy-hy-hyperventilier Anfall.

Ich bin am Ende. Ich bin durstig. Ich bin sooooooo durstig, ich könnt die Vorratsspeicher der Brau-Union wegschlucken wie nix. Ich würd mich am liebsten an eine Wachauer Weinbergbesprenkelungsanlage anschließen (sofern die dort wirklich mit Wein gießen) und dort abhängen bis zum Blasenanschlag. Ich könnt ganz Schottlands Whiskyjahresproduktion mit links und die Ukrainische Wodkajahresförderung mit rechts weg ziehen.
Ich bin sooooooo durstig, sososososo durstig, ich würd jetzt sogar Wasser trinken, ein ganzes Glas, vielleicht sogar zwei.
Auf dass alles wieder fließen, fluten, strömen möge. Auf dass ich der Affenhitze wieder Eisbärencoolness entgegensetzen kann. Auf dass auch die Gedanken wieder anstandslos vom Hirn über den Arm in die Schreibhand fließen mögen und bei der
Mörderhitze - Urwaldschwüle - Saunaaufgussschwitze - SOAK-Pavilon-Kühle ein Monster-Hitzen-Wort-Durst-Text entstehe, bevor ich tatsächlich an die Ionion-Bar etwas trinken gehe.

Montag, 16. Juli 2012

Diskurs- und Prügelprosa



Jan Off ist eine Marke. Jan Off steht für Punk, Trash, Drogen und keine Kompromisse. Jan Off hält, was sein Ruf verspricht. Jan Off bleibt sich selbst immer treu, variiert aber die Themen seiner Romane. Freilich bleiben Drogen eine verlässliche Konstante aber nachdem er sich im letzten Roman „Unzucht“ ausgiebig dem literarischen Porno hingegeben hatte, beschäftigte er sich im aktuellen Roman „Happy Endstadium“ mit der Linken.


Jan ist der beste Freund des Ich-Erzählers und zieht in eine WG ein. Hervorragend ist Mitbewohnerin Julia und als der Erzähler die erstmals zu Gesicht kriegt, ist es um ihn geschehen. Er will auch in diese WG, um jeden Preis, und sei es, er müsste kriminell werden, um an diese Julia ran zu kommen. Diese Julia hat die Kraft, Fleischfresser und Taugenichtse kurzzeitig zu veganen Arbeiterbienen zu machen. Ein Zimmer wird frei, die Aufnahmeprüfung gemeistert und die erste Aktion zwar verkackt, aber es besteht noch berechtigte Hoffnung, denn die Mitbewohner-Waschlappen Kleingeld, Lasse und Jan sieht das biertreue Ich nicht als Konkurrenz an. Aber erst wird mal demonstriert, geplaudert, gepudert, geprügelt und am Manifest (welchen Inhalts sei hier nicht verraten) herum geklügelt. Ein Hund verschwindet, ein Bandenkrieg entflammt und wird im Sonnenstudiokeller wieder gelöscht, ein Plan wird geschmiedet und immer fleißig den Drogen zugesprochen.
Auf einmal ist der Erzähler der nüchternste und alle anderen im Dauerrausch. Auf einmal ist es dem anfänglich zögerlichen Ich wichtig, den Gaga-Plan durchzuziehen (um so endlich die Gunst Julias zu gewinnen) und zur Planumsetzung ist man gleich auf mehrere Freaks angewiesen. Chemie Student Hartmut, Rupert, der Unviversaldealer und Bernie, das Nachtwächter-Wrack mit sprachlicher Eigenart

Das ist natürlich Stoff für zahlreiche Rauschaktionen und endlos skurrile Episoden. Dass das Ganze (der Plan, nicht das Buch) in die Hose gehen muss, ist unübersehbar. Das Kapitel mit Kleingeld und dem Erzähler auf dem Weg in die Pampa zur Warenübergabe (welche Ware wird hier natürlich nicht verraten) mit diversen Unfällen und Schwierigkeiten ist exemplarisch für Offs Erzähl- und Herangehensweise an den Stoff, zu lesen

Die Stärke von Jan Offs Prosa liegt auf der sprachlichen Seite. Diese Sätze haben Kraft und langen Atem. Die Wortwahl ist originell und gerne drastisch, der generelle Duktus allerdings bewusst antiquiert. Dieser permanente Bruch hat Charme und von vornherein einen eigenen Witz. Die Dialoge überzeugen ebenfalls (auch über lange Strecken). Denn natürlich wird viel gequatscht in dieser WG, die Linke redet noch immer gern und viel, viel mehr, als dass sie handelt. Die Linke, bzw. diese linke WG, kommt nicht sehr gut weg in „Happy Endstadium“. Aber kaum jemand mit WG-Erfahrung wird leugnen, derartige Figuren kennengelernt und mitunter ähnliche Ideen gewälzt zu haben.
Auch wenn sich einige gelegte Spuren im Sand verlaufen und der Undercovermann etwas durchsichtig angelegt ist, ist „Happy Endstadium“ in Summe ein solider Off-Roman, der unterhält und - wie eingangs angekündigt - hält, was er verspricht.