Donnerstag, 31. Oktober 2024

Das große Ruckeln und Größenwahn


Reisen mit der Bahn ist in Rumänien momentan noch ein großes Ruckeln, Zuckeln und gemächliches Durch-die-Landschaft-Ziehen. Die Städte sind vorbildlich herausgeputzt: da strahlen die frisch renovierten Fassaden im Herbstsonnenlicht; da protzen die restaurierten Klassizismusprunkbauten; da ist man ganz Kulturhauptstadt (Timișoara 2023) und Jugendhauptstadt (Cluj-Napoca 2015) und geizt nicht mit Informationen; da ist an allen Ecken über prominente Menschen der Region oder Besonderheiten derselben zu lesen. 

 Ich weiß jetzt, dass der Bau eines gigantomanischen, nein, megalomanischen, nein, ganz einfach vollkommen durchgeknallten, irre-großen Palasts ausreicht, ein Land in den Ruin zu treiben. Ja, angesichts dieses Bauwerks versagen kurzzeitig die Sprachwerkzeuge. Ich bin richtiggehend empört über dieses Monsterbauwerk. 

Ich weiß jetzt sowohl, dass Literaturnobelpreisträgerin Herta Müller in Timișoara studierte, als auch, dass Tarzan Johnny Weissmüller dort geboren wurde und dass Timișoara die erste Stadt mit elektrischer Straßenbeleuchtung war. Ich weiß aber auch, dass der Bahnhof nach wie vor eine Baustelle ist, weil der öffentliche Bahn-Verkehr hier offenbar nicht wirklich wichtig ist.

Der Individualverkehr ist alles. Das Auto ist Statussymbol. Die fette Karre steht für rasches Vorwärtskommen in allen Belangen. In București lässt man auch gerne die Motorradmotoren aufheulen, wenn die Siegesstraße entlang gebrettert wird. 

Ich muss lachen und weinen gleichzeitig, als ich sehe, dass mit dem Slogan "Sustainability is the new Stability" sogar auf dem Literaturfestival für eine Automarke geworben wird. Gerne würde ich ein Fettnäpfchen über das präsentierte Automobil schütten. 

Ach, so viele Fettnäpfchen, die bereitstehen und darauf warten, betreten zu werden, aber wenn mal eines braucht, zum Verschütten, dann ist keines da.


Montag, 28. Oktober 2024

Ego-Candy-Shooter-Crush


24 Stunden, einen ganzen Tag, Tag und Nacht habe ich jetzt in rumänischen Zügen verbracht. Von Timișoara nach Cluj, von Cluj nach Iași, von Iași nach București. Als ich in Bukarest ankam, stand am Gleis gegenüber ein Direktzug nach Wien, fast wäre ich eingestiegen, was mich vermutlich noch einen ganzen Tag gekostet hätte. 

Aber ja, ich fahre gerne Zug. Auch wenn aus sechs Stunden acht werden. Auch wenn es keinen Speisewagen gibt, auch wenn es kein Klopapier gibt, auch wenn es keine Beinfreiheit gibt, auch wenn die Sitznachbarn nicht gerade freundlich sind, auch wenn es keinen Platz gibt, den Laptop aufzuklappen und beispielsweise zu bloggen. Mich interessiert ja, was die Menschen so machen. Wie sie sich die Zeit vertreiben. Ich sitzt dann halt da mit meinem Notizbüchlein, gut, dass ich diesmal ein kleines dabei hab. DIN-A 5 wäre platztechnisch mitunter schon schwierig gewesen. Sitze geduldig da, schaue gar nicht so viel aus dem Fenster, weil da gar keines ist, also nur die Trennwand mit Steckdosen für diverse mobile Geräte, schaue mich halt um und notiere, was mir auffällt. 


Gerne hätte ich auf dieser Reise all die Kopfhörer, die ich in meinen bisherigen Flügen bekommen habe mit dabei gehabt, um sie großzügig an Jung und Alt zu vergeben. Dass mir einer drei Stunden lang im Nacken sitzt und irgendein Egoshooter-Game spielt, mir also den Hinterkopf vollballert, ist gar nicht das Schlimmste. Irgendwann sind die Ohren tot. 

Das tröpfelnde Pling-Pling, Brrchch von Handyspielen wie Candycrush ist mehr Folter. Das lässt dich nicht los, wie es ja auch die Spielenden nicht los lässt. Wenn jeder gelesene Setz-Satz von einem Pling bestätigt wird, dann macht das was mit einem. Es lässt einen die Zugfahrt nicht so schnell vergessen. Ob es sich mit dem Gelesenen ähnlich verhält, kann ich noch nicht beurteilen. Ohne "Monde vor der Landung" hätte ich die letzte Etappe meiner Reise wohl nur schwer angeschlagen überstanden (oder, wer weiß, vielleicht hätte ich mich hinreißen lassen, den Pling-Pling-Plingern ein Brrchch zu bescheren). 

Jedenfalls gut, dass ich ausreichend Lektüre, Sitzfleisch und in Asien angeeignete Gelassenheit im Gepäck hatte. Auch gut, dass ich einen oldschool Reiseführer mit dabei hatte. Obwohl die Karten oft leicht daneben liegen, bieten sie doch einen groben Anhaltspunkt und das genügt mir ja auf Reisen. Ich verlaufe mich ja gerne, um Dinge zu finden, auf die ich sonst nicht zugesteuert wäre. 

Jetzt wäre ich natürlich auch heiß auf Brașov und Sibiu. Aber das kann ich ja alles noch machen. Nicht dieses Mal. Dieses Mal bin ich herumgereist genug für zehn Tage. Aber: Ich komme wieder, keine Frage.

Bücherkiosk statt Bücherschrank. Davon stehen richtig viele in den Fußgängerzonen.

 

Samstag, 26. Oktober 2024

Schnitzeldasein in der langen Nacht

So was hab ich noch nie gesehen! Das "filit" ist ein Literaturfestival der Extraklasse. Die ganze Stadt Iași ist geprägt davon. Überall flattern einem die grünen Logo-Bücher entgegen. Am Einheitsplatz ist das Festivalzentrum, da stehen drei Zelte: Buch, Bühne, Backstage. Fünf Tage lang, alle Jahre wieder, steht die ganze Stadt im Zeichen der Literatur. Schon beim Einchecken ins Hotel Unirea huschte Abdulrazak Gurnah an mir vorbei. Am nächsten Morgen frühstückt er einen Tisch weiter und ich kann berichten: Er ist Tee-aus-Becher-Trinker und schaut zumindest in der Früh so grimmig drein wie am Pressefoto. Zeruya Shalev ist da, mit Colm Toibin unterhalte ich mich beim Mittagessen über die Schönheit der rumänischen Namen: Popescu, Burcescu, Antonescu, etc. 

Adrian Alui Gehorge will ich nach seiner Lesung einfach ein schnelles Kompliment (auf englisch) machen und er holt gleich seinen Übersezter, damit ihm nichts entgeht und das Ganze wird dann fast ein bisschen peinlich, weil so genau hab ich ihn dann auch wieder nicht verstanden, er hat ja rumänisch gelesen und da versteh ich (mit meinen Italienischkenntnissen) halt doch nur, was ich will und mir zurechtdenke. Aber egal. Ich bin großzügig mit Lob. Davon hab ich viel, kostet mich nichts und die lange Nacht der Poesie will ja vertrieben werden. Von 22 bis 4 Uhr stand am Programm und ich hatte schon Angst. Es dauerte letztlich aber eh nur vier Stunden und ich hielt von Anfang bis zum Ende durch, obwohl ich im Grunde nichts wirklich verstand. Aber Poesie ist ja eine Universalsprache und die hab ich schon halbwegs drauf. Die Bierbegleitung freilich hat da schon geholfen. Hat die Zunge und die Kontaktaufnahme lockerer werden lassen. Denn ins Gespräch kommt man halt am einfachsten in der Bierwarteschlange. Da teilt man von vornherein eine Gemeinsamkeit, trifft sich beim gemeinsamen Biernenner. Begegnet man sich dort mehrmals, teilt man auch noch Trinkgeschwindigkeit und Geselligkeitswillen. Tudor hab ich dort kennengelernt, vor seinem und nach meinem Auftritt. Da er mit Nachnamen Crețu heißt, muss er nicht all zu lange warten. 

Ich hatte den Vorteil gleich dran zu kommen, als Zweiter. Da ging's ausnahmsweise um den Anfangsbuchstaben des Herkunftslandes: A wie Austria. Ich war nicht unglücklich über diesen Startplatz. Cosmin Perța hatte länger zu warten aber guten Schmäh und es schäkerte sich ganz gut mit ihm. Denn dass alles großartig gewesen wäre, dass alle ins Mikrophon gesprochen, dass sich alle an die Zeit gehalten hätten, davon kann natürlich nicht die Rede sein und genau das ist dann ja Anlass zum drüber Reden. Wir hatten Spaß und der rührendste Moment des Abends war, als Claudiu Ioan Maftei, der Etrit Hasler der rumänischen Poesieszene, loslegen wollte, mit Mühe den ersten Satz lesen konnte, sich auf die Suche nach mehr Licht machte, nochmal ansetzte, wieder nicht weiter kam und sich dann jemand aus dem Publikum erbarmte und ihm seine Lesebrille reichte. Ein solidarischer Akt und ein poetischer - einmalig. 

Das Gegenteil davon gab es auch - hier sei kein Name genannt, aber der bekannte Irgendwas-Mediziner und Dichter, hat heillos überzogen, hat viele quasi ins Koma gelesen. Aber sonst keine Beschwerden nur Lob, Hochachtung, Freude.

Freitag, 25. Oktober 2024

Vonwegen Schlaflosigkeit - Muntermacher Poetry!

Wenn da ansatzweise ein Berg ist, muss ich rauf. Ich also runnig up that hill. Da steht ein Kreuz, ja, irgendwie anziehend. Noch immer. Da steht aber auch ein altes Gebäude. Dass eh groß "Hotel" drauf steht, übersehe ich vorerst. Vielleicht ist der Winkel beim Aufstieg so, dass ich es nicht sehen kann. Was ich sehe sind schräge Typen, knutschende Paare, Bag-Ladies und Absperrungen. In meinem Kopf geht es rund. Wer wohnt da oben? Ist wohnen überhaupt das richtige Wort? Wer ist hier untergebracht? Jedenfalls tolle Aussicht auf Cluj-Napoca. Schade, dass die Terrassen-Kneipen von einst verwahrlost sind. All die Restaurierungsaufmerksamkeit ist auf das Zentrum konzentriert, das auch wirklich strahlt, nicht nur in der Abendsonne.

Bin wieder nur zwei Nächte in der Stadt. Was leider eine zu wenig ist. Kann weder das tolle Hotel nützen, noch wirklich was anschauen. Bin ja hier, um was zu tun. Mache einen Workshop in der Österreich-Bibliothek in der ich im Jänner 2005 schon mal war und die gerade ihr 20 Jahre Jubiläum feierte. Jetzt also wieder da. Von damals hab ich nur mehr vage Erinnerungen, es gibt aber Fotos, die ich wohl mal suchen sollte. Zwei Lokale glaube ich wiederzuerkennen: Das Urania und das Insomnia und in zweiterem sollte dann auch der Auftritt stattfinden. 

Immer diese Befürchtung es könnte niemand kommen. Bis kurz vor 19 Uhr waren die auch begründet. Dann aber füllte sich der Raum und es fühlte sich gut an. Vielen Dank fürs Checken Manuela! In der Österreich Bibliothek arbeitet übrigens nach wie vor Lenka und der Gästebucheintrag vom letzen Mal hat meine Erinnerungen auch ein wenig aufgefrischt. "Zwei Schnitzel auf Reisen" haben wir (Wolfgang Kühn) die Tour genannt, die damals Michaela Hirsch organisiert hat. Das Foto vom Auftritt im Insomnia (unten) hat Manuela Dressel gemacht. Danke!

Und sonst?
Esse Sarmale Traditionale, trinke Ursus (zu wenig, weil Bierkonzerne die Zapfhähne erobert haben und auch die Craftbeer-Unart in Rumänien eingezogen ist), trinke aber genug gute Espressi, ziehe nachts nur ein bisschen durch die schönen Gassen, beschließe aber für mich selbst, wieder mal hier her zu kommen.

Mittwoch, 23. Oktober 2024

Nischbach nebst Fernwärmepumpwerk

Ich liebe mein Leben. Was mache ich? Alles, was von mir verlangt wird. Nein, natürlich nicht alles. Aber wenn ein renommierter Kulturverein, spezialisiert auf Jazz-Festivals (aber nicht nur) fragt, ob ich vielleicht gemeinsam mit Musiker*innen einen Poetry-Video-Clip in Temeschwar (Timișoara) machen möchte, dann mache ich das. 

Eingestellt war ich auf eine dunkle Proberaum-Session. Aber - surprise - es wurde im Freien gedreht und - nochmals surprise - mir, meinem Gedicht - wurde eine E-Harfe und ein E-Bass zugeteilt. Wir standen dann also im Kreise (der ein Dreieck war) beieinander, stellten uns vor und legten los. Wir standen in einer Straße die auf der einen Seite sehr baum- und blätterreich war, auf der anderen Seite aber auch ganz schön großstädtisch fabrikisch. Wie passend, dass der Stadtteil Fabric hieß und ich schaute auf eine Mauer, hinter der sich ein Fernwärmewerk befand. Ich habe also Poesie an die Wand geschmettert, während hinter der Wand heißes Wasser produziert wurde. Böse Zungen würden sagen: Heiße Luft meets heißes Wasser.


Ja, der Welt mit Poesie begegnen, ist oft wie gegen eine Mauer reden. Wir nahmen uns aber Raum und beschallten und bedichteten diesen. Eine E-Harfe schaut übrigens genau so aus wie das Guiness Logo und wird dann halt auf einen Ständer gestellt und gespielt. Die Melodie, die meinem "Wenn-Gewetter" unterlegt wurde, hatte ein bisschen was vom Twin-Peaks-Signature-Tune. Laura Palmer war natürlich nicht da aber Soundmann Jimmy, Kameramann Pedro, Checker Norbert, Harfinistin Orsi und Bassist Csaby. 

Die Sonne schien, der Kanaldeckel unter uns stank, wir groovten. Wir schrieben uns ein in die Straßenecke, die Episcop Joseph Nischbach hieß. Nischbach, das wär doch ein Bandname. Sollte unser Video ein Clickhit werden, wir werden uns Nischbach nennen.