Dienstag, 2. September 2014

Die Invasion der Unterordner – vom Regulativ zum Chaossuperlativ

Als mir neulich mein Bildschirmschoner ein Foto eines mir besonders verhassten Menschen zeigte, beschloss ich, nicht nur meinen Desktop, sondern auch meine Festplatte aufzuräumen.

Was für ein Fehlentschluss, was für ein Schuss ins Knie, was für ein Kniefall vor dem vergeblichen Versuch, Ordnung ins Leben zu bringen. 

Chaos bedeutet im Altgriechischen nicht zu Unrecht Abgrund. Ich gebe mich geschlagen, gebe auf und kapituliere vor der Invasion der Unterordner. Diese Ordner ordnen nichts mehr. Diese Ordner sind der Chaossuperlativ und dieses Foto ist mir dabei auch untergekommen (gesehen in Braunau). 

Ausgeschlachtete Telefonzellen müssen sich ja wirklich einsam fühlen. Vielleicht ist diese Postkastenschutzhütte eine Lösung.

Samstag, 12. Juli 2014

Wie wir euch sehen

Durfte neulich bei der Ausstellung "Wie wir euch sehen" von Jay Finger, Gerlinde Gröllinger, Margit König, Renee Sillam und Ute Walter einen Wortbeitrag abliefern. Die Ausstellung läuft noch bis 25. Juli in der Quellenstraße 149, im 10. Bezirk. Vorher aber - an einem Freitagmorgen im Jänner - saß ich Modell und wurde porträtiert. Ich kannte niemanden und nützte die Gelegenheit, während ich gemalt wurde, über die Malerinnen zu schreiben. Es entstand folgender Text:

Mahlzeit zum Quadrat

Ute mit Hut trägt eine beängstigende Plastikschürze.
An malen habe ich dabei nicht gedacht – eher an schlachten.
Gerlinde vollführt ein graziles Pinselflorett, die Linke elegant am Rücken.
Margit redet viel und hat mir den Weg gewiesen.
Jay lugt immer wieder hinter der Staffelei hervor und mag meine Socken.
René mag meinen Mund. Mein Mund wird die Schinkenfleckerl mögen.
Vier von fünf tragen Schürzen.
Die Malschürze scheint den Malerinnen das zu sein, was mir der Morgenmantel ist.
Eine Malschürze verrät natürlich viel über einen. Eine Malschürze ist aussagekräftiger als ein gut gewartetes Facebook-Profil. Mit der Malschürze schlüpft man in eine andere Welt.
Mit dem Überstreifen der Malschürze legt man den Alltag ab beziehungsweise deckt ihn zu, um in die eigene Welt einzutauchen.
Mit dem Überziehen des Morgenmantels decke ich die Nacht zu und schlüpfe in den Tag.
Die Malschürze ist ein Ticket in die Innenwelt – losfahren muss man dann aber schon noch.
Um Fahrt aufzunehmen, muss Farbe aufgetragen werden.
Mit dem ersten Stricht beginnt die Reise ins Irgendwo.
Eine Malschürze kann verräterisch und aufschlussreich sein.
Eine Malschürze ist wohl auch so etwas wie eine Kuscheldecke.
Sobald sich die Malschürze an einen schmiegt, schmiert man ab, will heißen driftet man ab und taucht ein in die persönliche Welt, die es dann nur noch um- und aufs Blatt zu setzen gilt.
Mit dem Schreiben ist das ja ähnlich. Gut, ich kann schon auch ohne Morgenmantel – im Sommer. Aber vielleicht sollte ich mir auch eine Schreibschürze zulegen.
Vielleicht lässt sich die Muße mit einer Schreibschürze locken.
Vielleicht schaut sie dann öfter vorbei. Einen Versuch ist es wert.
Ab morgen werde ich mich wortlos in den Schreibschurz stürzen, auf dass der Schreibsteilflug beginnen möge und Schnitt und ab in die Gegenwart:
Aus der Küche die ersten Gerüche
Langsam krieg ich Schinkenfleckerlodeur induzierten Speichelfluss
und Schwierigkeiten beim Stillsitzen macht nur der überschlagene Fuß
Aus dem Gang Türglockenklang
Wer klopfet an?
Die Vicky – na dann – Klappe und Mahlzeit die zweite!

Geburtstagspartyhopping

Eben noch Marmorbüsten, Familienbilder in Öl, Geigengeburtstagsständchen und Sektgeflöte – jetzt Rauchschwaden, Offensivgelalle und Rauschpalaver. Einen größeren Schritt von einer zur anderen Schicht kann man in Innsbruck in kurzer Zeit wohl gar nicht machen. Vom Saggen-Villa-Salon-Fest ins Conte dem Bahnhofsbeislklassiker bei der Raiffeisenpassage und jetzt warten auf den Nachtzug. „As beers go bye“ und den Abend Revue passieren lassen. Das Geburtstagskind läutete ein, der Postbote orgelte im Hintergrund, das Buffet war eröffnet und ich in Bereitschaft. Zeit, das Publikum zu studieren. Mein's war's nicht, soviel war bald klar. Die Jubilarin 70, die Freunde zum Teil älter.
Aber Vorurteile sind dazu da, widerlegt zu werden. Irgendwann hatte ich sie geknackt und die Skepsis in den Gesichtern wich, vereinzelt leuchteten sogar Augen und blinzelten Goldzähne. Die Party-Roben glitzerten, die Perlen waren echt und jeder hatte mehr Rolex am Arm als Promille im Blut. So auch sie, die mich in die Ecke drängte, aufs Sofa nagelte und löcherte. Schulter-, Unterarm-, Handgetätschel, zufälliges Fuß-Bein-Gestreife und beim Reden viel zu nah dran. „Der Ekel“ hätten sie gerade im Literaturzirkel gelesen und Werfel möge sie der Sprache wegen und reden und tatschen und blond und zu dünn und Bling-bling-glitter-flitter-Hose und diamantbesetzte Goldrolex und doppelte Pelenkette und Schuhe im Wert meines Monatseinkommens. Auch ein Geruch schlug durch. Nicht Schweiß – ich schwitzte. Sie roch eher kultiviert abgestanden sektrauschig, übergriffig und gesprächig. Das war der Odem der wohlstandsgesättigten Langweile.
Ich ergriff die Flucht und im Conte hatte auch wer Geburtstag und schmiss eine Lokalrunde Jägermeister. Augenringe wie Dampferschwimmreifen nur in ganz rot und ohne Streifen – 32 Jahre – Respekt! Kein Spott, kein Hohn? Ein bisschen, aber mittlerweile mehr Rausch und insofern nicht mehr heikel. Der Zug konnte kommen und kam auch.

Montag, 19. Mai 2014

Mutter Heimat ruft

Ja, sie ruft und zwar in Form einer 85 Meter hohen Statue mit 33 Meter langem Schwert, das 14 Tonnen wiegt und sie steht am Mamajew-Hügel, der Gedankstätte der Schlacht um Stalingrad.
Beeindruckendes Gelände am höchsten Punkt der Stadt. Toller Blick auf Wolga und Wolgograd. Auf der anderen Seite des Flusses ist Krasnoslobodsk.

Dort hin kommt man über die tanzende Brücke, mit 7,1 Kilometer die längste Balkenbrücke Europas (eine Zahl die ich nicht ganz glauben kann, aber gut, ich hab's nicht nachgemessen, war aber dort, am Ostufer - ja, schöner Blick auf Wolgograd).

Donnerstag, 15. Mai 2014

Wolpertingerschnitzeljagd

Im Rahmen des Chelsea Fringe Festivals Vienna 2014 http://landscapeart.at/ gestalten
Sabine Freitag (Künstlerin)
und Markus Köhle (Autor)
eine Wolpertingerschnitzeljagd mit mehreren Stationen im 7. Bezirk.

Start: 17. Mai 2014, 15 Uhr.
Ort: Salatpiraten, Kirchengasse 44, 1070 Wien
(zweiter Durchgang um 18 Uhr).
Mehr Infos: http://wolpertingerschnitzeljagd.wordpress.com/

Montag, 5. Mai 2014

Panoramadrama und Wolgakreuzen

Beton. Beklemmung. Waffen.
Wehrmacht. Kraftsoff. Orden.
Faszination Technik - Wahnsinn Krieg.
Haubitzen und Felmützen, Heldenhallo und Jubelkitsch.
Gemauertes Bedauern, eine Gräuelorgie in Grau, ein Monument des Schreckens

Was anderes war nicht zu erwarten. Das Panoramamuseum in Wolgograd beheimatet ein Panoramagemälde der Schlacht um Wolgograd, zahlreiche Waffen, Uniformen, und Geschichten (die ich leider nicht nachlesen konnte, weil old-school-museum).
Der Bau entspricht dem, was man sich unter sowjetischer Architektur vorstellt. Die Ausstellung im fensterlosen Erdgeschoß ist passend düster, ein Treppengewinde führt in Lichteres: Elegante Uniformen, Wehmachtsschick und Stalingradmantelschwere.
Das Panoramabild an sich ist ein Schlachtfeldpanorama, ist Kriegsverdichtung, eine Brachialgewaltsturzflut, die da auf einen einbricht. Danach kam mir eine Schifffahrt auf der Wolga gerade recht, zum Revuepassierenlassen von Gesehenem.

Montag, 28. April 2014

Kulturkontakt

Teil des Ö-Tage Programms. Junges russisches Talent jodelt.
"Ja nje goworjo po russki", ging mir natürlich nicht flott genug von den Lippen. Sie zerrte an mir und wollte mich in die russische Kultur einführen. Im konkreten Fall hätte das bedeutet: Tanzen. Tanzen mit einer zu früher Stunde schon erstaunlich betrunkenen Frau. Nein, einem Mädchen. Sie waren viele. Es machte den Anschein einer Geburtstagsparty und sie dominierten das Lokal.
Ich saß still Bier trinkend in der Ecke und ließ die Tage Revue passieren. Ja, ich schrieb und war mir durchaus bewusst, dass es nur eine Frage der Zeit sein konnte, bis irgendeine der Feiernden zu mir schwappte und... ich sollte recht behalten. Ihre Kontaktaufnahme war überschäumend freudig, ich verstand natürlich kein Wort, übersetzte aber wie folgt: "Heute ist ein schöner Tag, heute ist ein Feiertag. Wir trinken und tanzen und wir würden gerne mit dir - schöner fremder Mann - trinken und tanzen. Denn du schaust etwas melancholisch in dein Bierglas und scheinst so in dich gekehrt. Lass los den Kugelschreiber und fass an meine Hand! Sie wird dich sicher auf die Tanzfläche geleiten und dann lassen wir uns dort einfach gehen, okay?"

Teil der Abendmahlunterhaltung. Pornodance von talentierten Studierenden
Musical-Duett mit hohem Schmalzfaktor zur Essensablenkung
 Auf eine derart förmlich und freundlich vorgebrachte Rede lässt sich natürlich nicht einfach mit einem kühlen "Njet!" antworten. Das wusste ich und baute deshalb auf dramatischen Mimik- und Gestikeinsatz. Auch wimmerte ich ein wenig, um ihr zu bedeuten, dass mit mir heute nichts zu machen wäre. Ich versuchte eine Geste zu finden, die ausdrückte, dass ich gerade zwei harte Kongresstage mit zig Pflichtterminen hinter mir hatte und ich jetzt gerade nichts lieber tat, als mich möglichst undramatisch mit russischem Bier zu betäuben.
Was macht die Frau da?
Ich schlug also die Hände über dem Kopf zusammen, verbarg dann mein Gesicht darin und schluchzte laut - so ungefähr. Sie jedenfalls nützte den Augenblick in dem ich das Bierglas losließ und ergrifft mich bestimmt am linken Handgelenk. Die gestischen Gestaltungmöglichkeiten waren dadurch immens eingeschränkt, vor allem weil ich mich mit der Rechten an die Tischstirnseite klammern musste, um nicht schwupps-die-wups von der Bank gezogen und auf die Tanzfläche abgeschleppt zu werden.
"Russki kulturni" hämmerte sie dabei auf mich ein. Ich - gestisch behindert - wusste mir nicht mehr zu helfen und rief: "Hilfe!", was natürlich niemand verstand bzw. eher als Freudenausruf denn als Stoßseufzer (und schon gar nicht als wirklichen Hilfsanspruch) interpretierte.
Ihr war ernst, mir war ernst.
Sie schwitzte, mir wurde heiß.
Sie ließ nicht locker, ich intensivierte mein Wimmern, in der Hoffnung ihr dadurch zu bedeuten, dass ich nicht Manns genug wäre, ihr zu genügen.
Die typischen Rollenbilder der russischen Gesellschaft wurden mir ja in den vergangenen Tagen eindrücklich vermittelt.
Auch waren die unzähligen Brautpaare, die sich in die absurdesten Posen warfen und an allen nur möglichen Stellen der Stadt fotografieren ließen, nicht zu übersehen. Allesamt blutjung. Ja, das nehmen sie noch ernst, das mit dem Heiraten. Passend dazu meine Lektüre. "Die Kreutzersonate" von Tolstoj (1891 erschienen) Da lebte Tolstoj schon jahrelang in selbst gewählter Armut und versuchte das "christliche Ideal" zu leben. Natürlich toll geschrieben aber von der Aussage her - wie im Nachwort vom Autor untermauter - der komplette Irrsinn. Tolstoj war sich sicher, dass die Menschheit nur durch totale Keuschheit zu retten wäre. Tztztz.
Ich jedenfalls blieb keusch an diesem Abend und sedierte mich weiter, nachdem meine Bekanntschaft mitgekriegt hatte, dass ich ein österreichischer Schlappschwanz und zudem eh schon verheiratet war.

Freitag, 25. April 2014

Wolgogradtag 2

Mein zweiter Tag in Wolgograd
Ich spreche kein Wort Russisch
Und immer wenn ich doch was sag
Klingt das für alle lustisch


Wolgogradtag 1

Ich bin ein Viertel der Österreich-Delegation. Es stehen Österreich-Tage in Wolgograd an. Ein Ö-Lesesaal wird eröffnet, es wird wohl reichlich gefestaktet werden. Was ich über Wolgograd weiß (resprektive grad gelesen habe): Wolgograd war mal Zarizyn und Stalingrad, ist Millionenstadt, Verkehrsknotenpunkt und Wirtschaftszentrum.
Die Stadt schmiegt sich ans Wolgaufer und erstreckt sich über sagenhafte 100 Kilometer. 400 Kilometer ist die Entfernung bis zur Mündung des Kaspischen Meeres. 1000 Kilometer sind es bis Moskau. Weiter im Westen ist der Don. Einst herrschten hier die Kosaken und Zarizyn hat nicht mit dem Zar zu tun, das ist Tatarisch und heißt "sari su" (gelbes Wasser).
Gelbes Wasser klingt ungesund - schwarzes Gold lässt Kassen klingeln. Die Gebrüder Nobel sorgten im 19. Jahrhundert für einen Wirtschaftsaufschwung.

Das Hotel Wolgograd: alt, ehrwürdig, zerstört und wiederaufgebaut. Der Delegation Bleibe.
Die Stadt war Umschlagplatz, der Fluss die Lebensader - die zu kappen, war das Ziel im Krieg. 1925 (bis 1961) war es die Stalinstadt - Stalingrad. Heute ist Wolgograd eine Heldenstadt.

Sonntag, 20. April 2014

Perun, Daschbog, Semargl und Mokosch

So stell ich mir den Auftrittsort in Wolgograd
Foto aber in Wörgl gemacht
Ja, das sind Slawengötter.
Ja, morgen heb ich ab. Schwechat - Moskau - Wolgograd. Ja, ich bin nervös. Ja, ich hab mich halbwegs vorbereitet und zum Beispiel "Mein russisches Abenteuer" von Jens Mühling gelesen, die Kreuzersonate im Gepäck und hab mir auch einen "Russisch Wort für Wort" Kauderwelsch Sprachführer besorgt.
Um die russische Deklination ("sechsköpfige Monstren" nennt sie Mühling) in den Griff zu kriegen, wird das natürlich nicht reichen. Aber ich werde mich bemühen, freundlich zu sein, regelmäßig zu bloggen und Fotomaterial zu liefern.
Jens Mühlings Buch möchte ich aber an dieser Stelle schon mal allen ans Herz legen. Eine Woche Wolgograd. Eine Millionenstadt, die wohl eher als Stalingrad berüchtigt und bekannt ist. Österreichtage in Wolgograd.
Ich bin gespannt und freue mich auf Unerwartbares.