Mittwoch, 18. November 2020

Lockdownlektüre

 2. Lockdown-Tag - 1. Lockdown-Lektüreprotokoll

PARK von Marius Goldmann (edition suhrkamp 2020)

Ein Debüt eines 1991 Geborenen, der in Hildesheim studierte, soll das erste Buch im zweiten Volllockdown sein. Eine gute Wahl, ein schönes Buch (rein äußerlich, ich mag die edition-suhrkamp-Schlichtheit, wobei diese Buch eh mit einem tollen Schutzumschlag ausgestattet ist - siehe Foto), ein geglücktes Debüt. Der Klappentext spricht von "literarischem Wagemut" und meint damit wohl auch, dass der junge Autor die Leserinnen und Leser spüren lässt, dass sie - ich! - alt sind, dass es aber dennoch gelingt, davon nicht abgeschüttelt zu werden. Die 40jährigen sind in diesem Buch die Alten, die komische Dinge machen. Das führt Goldhorn fein vor und er hat ja auch recht. Dennoch bedient er diese Leserinnenschicht schon auch, denn seine Lektüre sind lauter Klassiker des 20. Jahrhunderts (von Brinkmann, Fichte, Plath bis Pessoa, K. Dick und Ujvary). Diese Namen werden nebenbei gedropt, der Held - Arnold - liest darin und am ehesten fließen noch Pessoa-Spuren dann auch in den Text bzw. die Gedanken Arnolds ein. Arnold ist sensibel, am Puls der Zeit und klassisch gebildet. Er ist auf jeden Fall nicht arm und steht noch nicht ganz im Leben aber auch nicht ganz daneben. Er wird dann wohl mal ein Buch schreiben. Noch wohnt er in Berlin, Moabit und lässt das Leben auf sich zu kommen. 

Eine WG-Party beschert ihn die Bekanntschaft mit Odile. Daraus wird dann schnell mehr, so schnell, dass ein halbes Jahr viel zu schnell vorbei und Odile dann nach London gehen - Kunst-Uni-Ding - und Arnold wieder alleine klar kommen muss. Er spürt sich eh - da ist ein Ausschlag auf seiner Brust, der juckt, also ist er da, in der Gegenwart. Obwohl er das Abdriften in Träume schon sehr gerne macht und nichts dagegen hätte, interessierten sich Aliens für ihn. Er selbst hat breit gestreute Interessen, liest nicht nur, sondern wählt auch die Musik, die er hört sorgsam aus, kann mit bildender Kunst was anfangen und Filme, Filme sind sowieso Vorbild in vielen Belangen. Trifft sich gut, dass Odile Filmerin ist. Ein Film-Projekt in Athen wird sie schließlich wieder zusammen bringen. Aber mal langsam.


Park ist in vier Kapitel gegliedert, die zeitlich so anzuordnen sind: 2, 1, 3, 4. Wir lernen Arnold in Paris kennen, da landete er, weil er einen billigen Flug nach Athen wollte, und den Aufenthalt in Paris gerne in kauf nahm. Im zweiten Kapitel erleben wir das Kennenlernen und Liebenlernen in Berlin. Dann das Wiedersehen in Athen und schließlich ein düsteres Ende in einem Flughafenhotel (Überbuchung!) bei Stromausfall. 

Ganz selbstverständlich schauen alle immer auf ihre iPhones, lesen Wikipediaartikel, schauen Youtubevideos und texten sich selbst, wenn sie gemeinsam an einem Tisch sitzen. Es wird sich auch eher über skurrile Netzkuriositäten unterhalten als über vor Ort Passierendes, da ist die Standardantwort dann doch oft: "Keine Ahnung". Und es ist auch okay, noch nicht viel Ahnung vom Leben zu haben. Die Figuren in diesem Roman sind aber wenigstens auf der Suche. Sie sind neugierig und üben sich in Weltgewandtheit. Besser als die Biedermeierei die grad unter Jungen grassiert. Was anscheinend immer gleich bleibt, ist der Ablauf von WG-Partys. Nicht mal die Drogen ändern sich groß. Da kann der 45jährige sagen: Ja, so war das in den 1990er Jahren auch schon. Und ein selbstbewusster Mittzwanziger hört darüber gnädig hinweg. 

Park ist im Ton souverän. Park will nicht zu viel, aber das hat er voll drauf. Liebe ist kompliziert aber schön, das kann man nicht oft genug zeigen. Als Demo-Tourist in Athen lernt man allemal mehr als in Zoom-Sessions. Alten Männern Geld abzuknöpfen, ist in Ordnung, auch wenn die eher an körperlichen als an geistigen Diensten interessiert sind. Aliens sind nicht die schlechtesten Menschen. Zock-und-Kiff-Freundinnen und Freunde brauchen alle. Und mal auf die Schnauze zu kriegen, hilft dann doch mehr sich zu verorten und zu spüren, als ein Ausschlag auf der Brust.

Darf's ein bisserl mehr Leben sein? Ja, Arnold würde zwar selbst nicht fragen, aber er versteckt sich auch nicht nur in seiner Bude und im Netz. Arnold reiht sich immerhin ein in die Schlange an der Wurstthekte des Lebens und wenn er dann dran ist, sagt er vermutlich: Keine Ahnung. Aber er war da und vielleicht geht er mit der Hinterfrau dann sogar auf ein Dosenbier im Park. Sehr sympathisch. Prost!


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